Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherungspflichtiges Arbeits-/Beschäftigungsverhältnis. Ghettoarbeit. Ghetto Starachowice. Zahlbarmachung von Ghettorente. Glaubhaftmachung. Freiwilligkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Aus den historischen Erkenntnissen über die Verhältnisse in den Ghettos im sog Generalgouvernement ergibt sich eine grundsätzliche Vermutung dafür, dass die Ghettobewohner sich aus eigener Initiative um Arbeitstätigkeiten bemüht haben, da diese die Chance boten, eine Bezahlung und Nahrungsmittel zu erhalten und mit dem Innehaben eines Arbeitsplatzes die Hoffnung verknüpft war, vor Deportation und Ermordung geschützt zu sein.
2. Auch ohne individuelle Angaben zum Entgelt kann der Erhalt einer Gegenleistung für eine Beschäftigung während des Aufenthaltes im Ghetto glaubhaft sein.
Orientierungssatz
Hier: Glaubhaftmachung einer Beschäftigung im Ghetto Starachowice in der Zeit vom 2.4.1941 bis 27.10.1942 nach Maßgabe des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBl I 2002, 2074).
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23.06.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 04.04.2005 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenrente nach dem 2000 verstorbenen E. N. unter Berücksichtigung einer ZRBG-Beitragszeit vom 02.04.1941 bis 27.10.1942 im Ghetto Starachowice sowie von verfolgungsbedingten Ersatzzeiten nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Witwenrente unter Anerkennung von Beschäftigungszeiten des verstorbenen Ehemannes der Klägerin im Ghetto Starachowice im sog. Generalgouvernement (Polen) streitig.
Die 1920 geborene Klägerin lebt als amerikanische Staatsangehörige in den USA. Sie ist die Witwe des 1920 in S. im Distrikt Radom (Polen) geborenen E. (R.) N.. Dieser wurde als polnischer Jude Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. Er musste zunächst im Ghetto und Zwangsarbeitslager seiner Heimatstadt leben und war ab Juli 1944 in den Konzentrationslagern Auschwitz, Oranienburg, Sachsenhausen und Kaufering (Kommando Dachau) inhaftiert. Nach der Befreiung kam er nach Regensburg. Im Jahre 1946 wanderte er nach Israel aus, wo er im gleichen Jahr die Ehe mit der Klägerin schloss. Später lebte er als amerikanischer Staatsangehöriger in den USA, wo er 2000 verstarb.
Der Verstorbene ist als Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) vom Bayerischen Landesentschädigungsamt München - Aktenzeichen … - anerkannt worden. Er hat eine Entschädigungsleistung für den erlittenen Freiheitsschaden erhalten.
Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem BEG hat der verstorbene Ehegatte der Klägerin im Jahr 1953 eine eidliche Versicherung abgegeben, als Beleg für weitere Haftansprüche für die Zeit vor Oktober 1942, in der er Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen geleistet habe.
In dieser eidlichen Versicherung hat er Namen des Obmanns des Judenrates, des Ghettokommandanten und des Leiters des jüdischen Arbeitsamtes genannt und als seine Adresse im Ghetto Starachowice, welches gegen Pesach 1940 errichtet worden sei, die W.Straße angegeben.
Zu seinen Arbeitstätigkeiten hat er ausgeführt: Ich musste seit Jänner 1940 verschiedene Zwangsarbeiten verrichten und zwar im städtischen Krankenhaus wurde ich bei der Müllentfernung und anderen Aufräumungsarbeiten eingesetzt. Nachher war ich beim Kohlenladen bei der deutschen Wehrmacht in den Kasernen. Dann arbeitete (ich) eine gewisse Zeit bei der Landwirtschaft, Kreisverwaltung und nachher in der Propagandaleitung der NSDAP als Kunstschriftmaler, da ich in dieser Richtung eine gewisse Begabung besitze. Zu den gesamten Arbeitsstätten wurde ich unter Bewachung des jüdischen Ordnungsdienstes tagtäglich aus dem Ghetto gebracht. Das dauerte bis Oktober 1942, als ich in das ZAL Starachowice umgestellt wurde.
Die Zeugin S1 F. hat zu den Arbeiten des verstorbenen Ehegatten der Klägerin in einer eidlichen Versicherung aus dem Jahr 1953 gegenüber der Entschädigungsbehörde erklärt, ihr sei bekannt, dass er zu verschiedenen Zwangsarbeiten hinzugezogen worden sei. Er habe eine zeitlang im städtischen Krankenhaus, bei verschiedenen Wehrmachtstellen und als Kunstmaler bei der NSDAP, Propagandastelle, gearbeitet.
Mit Antrag vom 12.5.2003 beantragte die Klägerin durch ihren damaligen Bevollmächtigten Witwenrente unter Berücksichtigung von Beitragszeit des Verstorbenen im Ghetto Starachowice. Zu dessen Beschäftigung und Arbeitsverdienst machte sie im Antragsvordruck folgende Angaben: 1940 - 42, Starachowice, Painter, Marks, Food
Nach Einsichtnahme in die bei dem Bayerischen Landesentschädigungsamt geführten Entschädigungsakten des Verstorbenen lehnte die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 23.6.2004 unter Hinweis auf die seinerzeitigen Aussagen im Entschädigungsverfahren mit der Begründung ab, die Zeit vom 2.4.1941 bis 27...