Antisemitisches Relief darf als Mahnmal bleiben
Die Entscheidung des BGH in dem seit Jahren andauernden Rechtsstreit um das antisemitische Schmährelief an der Stadtkirche Sankt Marien in Wittenberg war mit Spannung erwartet worden. Nun haben die Bundesrichter entschieden: Das Schmährelief darf als Mahnmal erhalten bleiben.
Nach Auffassung des BGH ist das Relief zwar eine in Stein gemeißelte Beleidigung und Verunglimpfung des jüdischen Volkes. An der Wittenberger Marienkirche sei das antisemitische Relief aber in einen Kontext gestellt worden, der die judenfeindliche Darstellung als Mahnmal an eine schändliche deutsche Vergangenheit ausweise, so der BGH.
Jüdischer Kläger fordert Beseitigung des Judenreliefs
Der 79-jährige Kläger ist Mitglied einer jüdischen Gemeinde in Deutschland. Er fühlt sich durch die Steinplastik in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Mit seiner Klage fordert er von der Wittenberger Kirchengemeinde als Eigentümerin der Stadtkirche die Entfernung des Sandsteinreliefs und begehrt hilfsweise die Feststellung, dass das Relief den objektiven und subjektiven Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB erfüllt.
Die Darstellung des Sandsteinreliefs
Das umstrittene Sandsteinrelief ist etwa seit dem Jahr 1290 an der Außenfassade der Wittenberger Stadtkirche angebracht. Es bildet im Zentrum eine Sau ab. An deren Zitzen saugen Menschen, die durch ihre Spitzhüte als Juden ausgewiesen werden. Eine weitere, durch ihre Kopfbedeckung als jüdischer Rabbiner identifizierbare Person schaut der im Judentum als unrein geltenden Sau unter Anhebung von deren Schwanz in den After. Darüber wurde später in Anlehnung an eine antisemitische Schrift Martin Luthers die Inschrift „Rabini Schem Ha Mphoras“, eine jüdische Umschreibung des heiligen Gottesbegriffs, angebracht.
Kirchengemeinde stellt historischen Kontext her
Im Rahmen einer Kirchensanierung im Jahr 1983 entschied der Gemeinderat, das Judenrelief nicht zu entfernen. Erläuternd wurde im Jahr 1988 unter dem Relief eine in Bronze gegossene quadratische Bodenplatte eingeweiht mit der Inschrift:
„Gottes eigentlicher Name, der geschmähte Schem Ha Mphoras, den die Juden vor den Christen fast unsagbar heilig hielten, starb in 6 Millionen Juden unter einem Kreuzeszeichen“.
Mitte 2017 wurde zusätzlich eine Stele (Schrägaufsteller) mit deutschem und englischem Text angebracht, der auf den historischen Kontext der Skulptur hinweist sowie auf den Antisemitismus Luthers und die verabscheuenswürdigen Judenverfolgungen in Sachsen im 14. und 15. Jahrhundert.
Relief als Ausdruck von Hass und Diffamierung
In seiner jetzigen Entscheidung stellte der BGH klar, dass das Relief als solches einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt besitzt und Ausdruck von nicht nachvollziehbarer Judenfeindlichkeit und Hass ist. Dieser diffamierende Aussagegehalt sei der beklagten Kirchengemeinde auch zuzurechnen, da sie im Jahr 1983 ausdrücklich entschieden habe, das Relief nicht von der Fassade ihres Kirchengebäudes zu entfernen.
Vom Schandmal zum Mahnmal
Mit Anbringung und Einweihung der Kirchenplatte aus Bronze im November 1988 hat sich dieser rechtswidrige Zustand nach Auffassung des BGH entscheidend geändert. Sowohl die Bodenplatte als auch die später angebrachte Stele hätten für den unvoreingenommenen und verständigen Betrachter das Relief in ein Mahnmal zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung der Juden bis hin zur Shoah umgewandelt. Das Gesamtensemble werde damit zu einem Bestandteil einer historisch wichtigen nationalen Erinnerungskultur und weise in dieser Form auch eine hinreichend klare Distanzierung der beklagten Kirchengemeinde von dem Inhalt des Reliefs aus.
Klage in allen Instanzen erfolglos
Die Klage auf Entfernung des Sandsteinreliefs hatte im Ergebnis über drei Instanzen keinen Erfolg, weil nach Auffassung der Gerichte gegenwärtig keine Rechtsverletzung mehr festzustellen sei.
(BGH, Urteil v. 14.6.2022, VI ZR 172/20)
Hintergrund
Im Mittelalter hatten diese Spottbilder den Zweck, Juden zu zeigen, dass sie in einer Stadt nicht erwünscht seien. Sie sollten davon abgehalten werden, sich dort niederzulassen. In Deutschland befinden sich entsprechende Schmähbilder noch an und in rund 30 evangelischen und katholischen Kirchen, darunter eine Schmähdarstellung im Chorgestühl des Kölner Doms. Nach dem jetzigen Urteil des BGH müssen die Kirchen hier wohl tätig werden und die Abbildungen zumindest in einen kommentierenden Kontext stellen. Für die Anbringung eindeutiger Erklärtafeln hat sich auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, ausgesprochen.
Der Kläger will noch nicht aufgeben
Nach Ansicht des Klägers gehören solche Schmähdarstellungen im Rahmen historischen Erinnerns grundsätzlich nicht in öffentliche Räume, sondern in Museen. Straßen, die den Namen von NS-Größen tragen, würden ja auch nicht mit einem erläuternden Zusatztext versehen, sondern sie würden umbenannt. Der Kläger schließt den Gang zum BVerfG und möglicherweise auch zum EGMR nicht aus.
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