Entscheidungsstichwort (Thema)
Handlungstendenz des Verunglückten bei Aufnahme einer beruflichen Tätigkeit als maßgebliches Kriterium für die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall
Orientierungssatz
1. Die Anerkennung eines Unfallereignisses als Arbeitsunfall i. S. von § 8 Abs. 1 SGB 7 setzt u. a. das Bestehen eines versicherten Beschäftigungsverhältnisses im Unfallzeitpunkt voraus.
2. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.
3. Mit dem Ende der bloßen eigenwirtschaftlichen Hospitationsphase während der Probezeit und der Aufnahme der mit dem Auftraggeber vereinbarten Tätigkeit für dessen Betrieb beginnt die nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB 7 unter Unfallversicherungsschutz stehende Tätigkeit.
4. Die Übergabe des Autoschlüssels zur Vornahme der Abfahrtskontrolle durch den als Fahrer eingesetzten Beschäftigten bestätigt, dass dessen Handlungstendenz auf die Tätigkeiten für das fremde Unternehmen gerichtet ist.
5. Entscheidend ist, ob der Versicherte eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und ob diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23.9.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.12.2015 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 18.8.2015 ein Arbeitsunfall ist.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Unfall des Klägers vom 18.08.2015 ein Arbeitsunfall ist.
Der Kläger befand sich am 18.08.2015 gegen 05:30 Uhr morgens mit seinem Motorroller auf dem Weg zum Betriebsgelände der F. GmbH in der W.-Straße in H ... Auf dieser Strecke kollidierte er in der Straße B. frontal mit einem Kleinlaster und zog sich unter anderem eine Schädelbasisfraktur sowie eine Rippenserienfraktur zu. Der Kläger sollte an diesem Tag unter anderem mit einem Beschäftigten der Firma F. GmbH in der Frühschicht mitfahren.
Bereits am 11.08.2015 fand eine erste Kontaktaufnahme des Klägers mit der Firma F. GmbH statt. Der Kläger nahm hierzu telefonisch Kontakt auf, nachdem er in einem Supermarkt eine Anzeige mit dem Inhalt gesehen hatte, dass ein Lkw-Fahrer gesucht werde. Noch am selben Tag erschien der Kläger auch auf dem Betriebsgelände der Firma und stellte sich persönlich vor. Der Zeuge Herr H1 erläuterte ihm in diesem Zusammenhang gewisse Arbeitsabläufe und das 2-Schichten-System, in dem gearbeitet wurde. Der Kläger berichtete über seine beruflichen Kenntnisse und Vorerfahrungen.
Im Anschluss an das Gespräch fanden am 13., 14. und 17.08.2015 so genannte "Probearbeitstage" statt, in welchen der Kläger jeweils eine komplette Schicht bei einem Angestellten der Firma mitfuhr, um Routen und Arbeitsweisen des Unternehmens kennen zu lernen. An diesen Tagen fuhr der Kläger noch nicht selbstständig die LKWs der Firma, sondern war ausschließlich als Mitfahrer im Fahrzeug.
Während einem dieser Probearbeitstage kam es zu einem kurzen zufälligen Gespräch mit dem Inhaber der Firma, dem Zeugen Herrn F ... Im Zuge dessen fragte der Zeuge K1 den Kläger unter anderem nach seinen Vorerfahrungen, ob er einen gültigen Lkw-Führerschein habe und wie seine Gehaltsvorstellungen aussähen. Der Kläger erklärte, dass er viele Jahre auch im Ausland beruflich Lkw gefahren sei und in Anbetracht dieser Erfahrungen mit dem Auffinden von H. Adressen keine Probleme hätte.
Am Abend des 17.8.2015 war dem Kläger vom Vorarbeiter der Firma, dem Zeugen H1, ein Ersatzschlüssel für den betreffenden Lkw für die Fahrt am 18.8.2015 ausgehändigt worden. Der Kläger war angewiesen worden, die morgendliche Abfahrtskontrolle vorzunehmen, die routinemäßig jeden Tag vor Fahrtbeginn bei jedem LKW durchgeführt wird und unter anderem auch eine Reifenkontrolle beinhaltet. Danach sollte er im Lkw auf den fahrenden Angestellten warten. Dem Kläger war für später an diesem Tag in Aussicht gestellt worden, eine erste Tour selbst mit einem Lkw der Firma, aber in Begleitung, zu fahren. Vor dem Erreichen des LKW wurde der Unfall am Morgen des 18.8.2015 verursacht.
Die Ermittlungen der Beklagten ergaben, dass sich der Kläger noch bis zum 31.8.2015 ein Arbeitsverhältnis hatte, aber bereits freigestellt war und sich daher um ein neues Beschäftigungsverhältnis bemühte. Am 14.08.2015 hatte der Kläger einen Termin beim Betriebsarzt zur Durchführung einer Tauglichkeitsuntersuchung. Für den 1.9.2015 war beim Landesbetrieb Verkehr ein Termin zur Eintragung einer Berufsweiterbildung und Führerscheinverlängerung vereinbart.
Die Beklag...