Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Vergütung für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern im Rahmen einer stationären Behandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Kosten für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern gehören zu den allgemeinen Krankenhausleistungen iS des § 2 Abs 2 S Nr 2 KHEntgG, sofern sie vom Krankenhaus veranlasst sind.

2. Eine "Veranlassung" iS des § 2 Abs 2 S Nr 2 KHEntgG setzt keinen Vertragsschluss mit dem Dritten voraus.

3. Die Kosten für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern sind bei der Kalkulation der DRG-Pauschale auch bereits vor Aufnahme der OPS 9-510.X im Jahr 2014 berücksichtigt.

4. Aus § 17 Abs 2 S 2 SGB I, § 19 SGB X ergibt sich nicht, dass die Krankenkassen verpflichtet sind über die DRG-Pauschale hinaus, die Kosten für den Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern zu tragen.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 454,30 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 12.11.2011 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens, mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen, die ihre Kosten selbst trägt.

3. Der Streitwert wird auf 454,30 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin verlangt die Vergütung ihres Einsatzes als Gebärdensprachdolmetscherin im Rahmen einer stationären Behandlung.

Die Klägerin ist staatlich geprüfte Gebärdensprachdolmetscherin. Sie übersetzte die ärztlichen Gespräche zur Aufnahme, zur Vorbereitung der Operation und zum Abschlussgespräch für die bei der Beigeladenen versicherte gehörlose 73-jährige S. in der Abteilung für Gynäkologie und Geburtshilfe der Beklagten. Hierzu legte sie der Beklagten ein mit „Bestätigung„ überschriebenes Schreiben vor in dem es heißt: “Hiermit wird bestätigt, dass Frau P. an folgendem Termin für mich/uns (Frau Dr. H. und Mitarbeiter der Station x Gynäkologie) als Gebärdensprachdolmetscherin im Einsatz war. Dieser Einsatz war unerlässlich, da ansonsten keinerlei Verständigung/Kommunikation oder Aufklärung der Patientin Frau S. (gehörlos) möglich gewesen wäre. Mit dem Einsatz der Gebärdensprachdolmetscherin konnten wir zudem § 9 BGG, § 2a SGB I, § 17 SGB I und § 19 SGB X entsprechen„. Dieses Schreiben wurde am 10.12.2010 unterschrieben (unleserlich).

Bereits vor diesem Einsatz hatte die Klägerin die Versicherte in die Beckenboden-Klinik zur ambulanten Voruntersuchung begleitet. Dort hatte der Zeugin Dr. H. der Terminkalender des Krankenhauses der Beklagten vorgelegen und es wurde vereinbart, dass die Klägerin als Gebärdensprachdolmetscherin eingesetzt und über die weiteren Termine telefonisch informiert werden solle.

Gegenüber der Beigeladenen kodierte die Beklagte die stationäre Behandlung mit der DRG 06Z (komplexe rekonstruktive Eingriffe an den weiblichen Geschlechtsorganen), wobei sie als Nebendiagnose Taubstummheit, andernorts nicht klassifiziert (H91.3) kodierte und 3.668,18 € abrechnete.

Die Klägerin stellte der Beklagten am 18.10.2010 für ihre Dienste 454,30 € in Rechnung. Als Grundlage hierfür machte sie die Entschädigung nach dem Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz (JVEG) in Höhe von 55 €/Std sowie Kilometergeld geltend.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 12.01.2011 die Begleichung der Rechnung unter Verweis auf die Zuständigkeit der Beigeladenen ab.

Mit Schreiben vom 24.1.2011 verwies die Beigeladene unter Hinweis auf § 2 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) auf die Leistungspflicht der Beklagten.

Die Klägerin hat am 15.7.2011 Klage vor dem Sozialgericht Hamburg erhoben. Darin stützt sie ihren Anspruch auf §§ 812,818 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Im vorliegenden Falle habe die Klägerin mit ihrer Leistungserbringung keine bewusste oder zweckgerichtete Zuwendung für die Patientin erbringen wollen, sondern es sei ihr um die Erfüllung der Ansprüche der Patientin aus §§ 17 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), 39 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), § 2 Absatz 2 KHEntgG gegen die Beklagte gegangen. Die Beklagte sei der Versicherten im Rahmen des Versorgungsauftrages zur Krankenhausbehandlung verpflichtet, die allgemeinen Krankenhausleistungen nach §§ 39 SGB V, 2 KHEntgG zu erbringen, wobei diese im Wege der Fallpauschale der Krankenkassen nach § 7 KHEntgG bereits umfassend von der Beigeladenen vergütet worden seien. Dazu gehöre auch der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschern. Denn der Anspruch auf die allgemeinen Krankenhausleistungen erstrecke sich auf alle Maßnahmen, die im Einzelfall unter Berücksichtigung der individuellen Patientenbedürfnisse aus medizinischen Gründen notwendig seien, worunter auch die Information-und Aufklärungspflichten eines Arztes fielen. Diese könnten gegenüber einem gehörlosen Patienten nur unter Hinzuziehung eines Gebärdensprachdolmetschers erfolgen. § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 KHEntgG stelle klar, dass das Krankenhaus die notwendigen Versorgungsleistungen nicht zwingend selbst erbringen müsse, sondern eine Leistungsbeschaffung auf eigene Kosten bei Dritten möglich sei. Durch das Tätigwerden der Klägeri...

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