Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Wegeunfall. sachlicher Zusammenhang. Unterbrechung des Heimwegs. Handlungstendenz. eigenwirtschaftlicher Zweck. betrieblicher Zweck. hoheitliche Maßnahme. Aufenthalt in einem Fahrzeug. Warten am Unfallort. auf Anweisung von Polizeibeamten
Leitsatz (amtlich)
1. Der Aufenthalt in einem Fahrzeug, bzw das Warten am Unfallort, auf Anweisung von Polizeibeamten, stellt versicherten Tätigkeit dar, die dem sachlichen Zusammenhang mit dem Heimweg begründen.
2. Die hoheitlichen Anweisungen der Polizei hatten es auch verhindert, dass die Klägerin den Unfallort insgesamt verlassen konnte oder durfte. Eine dem Privatbereich zuzuordnende eigenwirtschaftliche Handlungstendenz kann der Klägerin in dem Warten auf weitere Anweisungen der Polizeibeamten nicht zugerechnet werden. Das Warten war nicht durch ihren eigenen Willen als Handlungstendenz gekennzeichnet, sondern ausschließlich auf Anweisung der Polizeibeamten geschehen. Daher ist die Ausübung einer versicherten Tätigkeit im Fall der Klägerin nicht mit der Begründung auszuschließen, dass sie nach dem ersten Unfall aus ihrem Fahrzeug ausgestiegen wäre und sich zum Fahrzeug der Unfallgegner begeben hätte, um mit diesen abzusprechen, ob die Polizei noch gerufen bzw. wie der Unfall reguliert werden sollte. Ein solches Warten am Unfallort auf Anweisung von Polizeibeamten kann eher mit einem „Warten auf dem Bahnsteig“ verglichen werden, so dass grundsätzlich eine versicherte Tätigkeit vorlag und festgestellt wird.
3. Auch die Unfallkausalität ist erfüllt, denn es hat sich eine Wegegefahr realisiert, gegen die die Wegeunfallversicherung schützen soll. Eine eigenwirtschaftliche konkurrierende Ursache unmittelbar vor dem Unfallereignis ist nicht positiv feststellbar. Ein - möglicherweise unversichertes - Regulierungsgespräch hat zum Unfallzeitpunkt - mit einem der Unfallverursacher - nicht stattgefunden bzw. ist nicht feststellbar, sondern es hatte ein Gespräch mit den Polizeibeamten stattgefunden, als der verletzende Unfall eingetreten ist.
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 23.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 03.03.2017 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die gewährte Rente auf unbestimmte Zeit wegen des Arbeitsunfalles vom 23.12.1983 nach einer MdE von 30 vom Hundert ab dem 01.12.2015 zu zahlen.
3. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Aufhebung eines Bescheides, der die Anerkennung eines Arbeitsunfalls zurücknimmt, sowie um die Feststellung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mehr als 20 vom Hundert.
Die 1965 geborene Klägerin war als Krankenschwester im Krankenhaus in H. beschäftigt und bei der Beklagten gegen Arbeitsunfälle versichert. Am Abend des 23.12.1983 befand sich die Klägerin in ihrem PKW auf der Heimfahrt von ihrer Arbeitsstätte nach Hause, als sie vor einer Ampel im Kreuzungsbereich halten musste. Ein weiteres Fahrzeug hielt hinter dem Fahrzeug der Klägerin. Ein drittes Fahrzeug fuhr gegen 20:15 Uhr auf das Fahrzeug hinter der Klägerin auf und schob dieses Fahrzeug auf ihren PKW auf.
Nach dem Auffahrunfall wartete die Klägerin auf das Erscheinen der Polizei in ihrem Fahrzeug. Die Klägerin wurde von den eingetroffenen Polizeibeamten zum Unfallhergang sowie nach ihren Personalien gefragt und aufgefordert, auf weitere Anweisungen der Polizei zu warten. Daher blieb die Klägerin in ihrem PKW auf der linken Fahrspur stehen. Der Verkehr wurde nach Absicherung der Unfallstelle nach rechts geleitet. Eine Mittelinsel zur Abgrenzung zum Gegenverkehr gab es nicht. Gegen 21:05 Uhr fuhr ein viertes Fahrzeug auf die abgesicherte Unfallstelle auf, als die Klägerin zwischen ihrem PKW und dem dahinterstehenden Fahrzeug stand, um mit den Polizisten das weiter Prozedere zu klären. Sowohl der Wagen der Klägerin als auch der Wagen hinter ihrem wurden zusammengedrückt und die Klägerin dazwischen schwer am linken Bein verletzt. Die Klägerin wurde ins Krankenhaus eingeliefert und wegen der infolge des Auffahrunfalls erlittenen Verletzungen ihres linken Sprunggelenks behandelt. Die Klägerin wurde am 25.02.1984 aus der stationären Behandlung entlassen.
Im Ersten Rentengutachten vom 24.05.1984 des Dr. M. wurde als Verletzung eine offene Sprunggelenksluxationsfraktur links mit ausgedehntem Weichteilschaden, eine Oberschenkelrisswunde links sowie multiple Prellungen und Schürfungen an beiden Beinen mit neurologischen Ausfällen als unmittelbare Unfallfolgen diagnostiziert. Zum Zeitpunkt der Erstattung des Gutachtens litt die Klägerin unter einer abgeheilten offenen Sprunggelenksluxationsfraktur links mit erheblichem Weichteilschaden und noch bestehender Schwellneigung und Sensibilitätsstörung.
Weiterhin bestanden breite Vernarbungen mit Keloidbildung am linken Sprunggelenk sowie eine eingeschränkte Beweglichkeit im linken Sprunggele...