Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelverordnung. Vergütungsanspruch eines Apothekers für selbsthergestellte Oxybutinin-Fertigspritzensets. keine Annahme einer industriellen Fertigung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine der Anwendung von § 21 Abs 2 Nr 1 AMG (juris: AMG 1976) entgegenstehende industrielle Fertigung setzt neben einer Produktion nach einheitlichen (normierten) Vorschriften eine "breite Herstellung", also auch ein bestimmtes, größeres Produktionsvolumen voraus.
2. Zu den Voraussetzungen des § 21 Abs 2 Nr 1 AMG.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 28.863,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2009 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 28.863,01 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Retaxierung bei der Versorgung mit Arzneimitteln.
Der Kläger ist Inhaber der G.-Apotheke in H ... Zwischen den Beteiligten gilt der Arznei- Lieferungsvertrag (ALV) in der Fassung vom 21. August 2008, abgeschlossen zwischen dem Verband der Angestellten Krankenkasse e. V. und dem Arbeiter Ersatzkassenverband e.V. einerseits und dem Deutschen Apothekerverband e.V. Berlin, darunter der hamburgische Apothekerverein e.V., dessen Mitglied der Kläger ist, andererseits.
Auf der Grundlage vertragsärztliche Verordnung von Fertigspritzen-Installationssets mit steriler Oxybutinin-HCL-Lösung 0,1 % gab der Kläger entsprechende Fertigspritzensets an Versicherte der Beklagten ab. Anwendungsbereich von Oxybutinin ist die neurogene Blasenentleerung. Das Mittel dient der Relaxierung einer überaktiven Harnblase und kommt unter anderem bei Patienten mit Querschnittslähmung, Spina befida (offenen Rücken) multipler Sklerose und andere neurologischen Schädigungen zum Einsatz. Der Wirkstoff wird auch als Fertigarzneimittel in Tablettenform angeboten. Bei Unverträglichkeit und Gegenanzeigen der oralen Verabreichung kann eine Oxybutinin-Lösung direkt über einen Katheter in die Blase gespült werden.
Der Kläger stellt die Lösung in seiner Apotheke durch Autoklavierung, einer Dampfdrucksterilisierung, aus Oxybutinin, sterilem Wasser, Natriumchlorid und Chlorwasserstoff her. Die Lösung wird anschließend steril in einem relativ aufwändigen Verfahren in Einmalspritzen verpackt, mit einem Adapter versehen sowie verpackt. Die Herstellung einer Oxybutinin-Rezeptur zur Instillation in die Blase erfolgt nach den Vorschriften des Neuen Rezeptur-Formulariums (NRF). Das NRF ist in den 3-5 des deutschen Arzneimittelkodex enthalten. In Kap. 9.3 des NRF ist die Oxybutininhydrochlorid-Instillationslösung 0.025 aufgeführt. Das Oxybutinin-Fertispritzenset besitzt keine arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz-AMG). Die Freie und Hansestadt Hamburg erteilte dem Kläger am 22. April 2005 eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Herstellung von Arzneimitteln für die Herstellung von Oxybutinin-HCL-Lsg. 0,01-0,25 in der Applikationsart Fertigspritzen-Installationsset.
In der Vergangenheit gab es ebenso wie mit anderen Krankenkassen auch Beanstandungen der Beklagten im Hinblick auf die Höhe der abgerechneten Vergütung für die Oxybutinin-Lösungen (S 48 KR 1134/05). Im Streit war, ob eine Berechnung als parenterale Lösung möglich war oder ob sich der Arbeitspreis nach Punkt 4 der Hilfstaxe Rezepturzuschläge ("Fertigung von Arzneimitteln mit Durchführung einer Sterilisation, Sterifiltration oder aseptischen Zubereitung") richtete.
Die Beteiligten sind durch die Änderungen der 14. AMG- Novelle davon ausgegangen, dass das Arzneimittel nunmehr unter dem Begriff des Fertigarzneimittels falle, eine Abgabe über den Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG aufgrund der vom Kläger vorgenommenen Fertigung nach einheitlichen Vorschriften nicht mehr möglich sei und nunmehr der Genehmigungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG unterliege. Der Kläger hat insoweit einen Antrag beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) auf Zulassung gestellt und ging davon aus, dass das Medikament weiterhin über den Ausnahmetatbestand des § 141 Abs. 4 AMG in Verkehr gebracht werden könne und von den Krankenkassen zu vergüten sei. Das Fertigarzneimittel ist seit 15. März 2007 in der IFA- Datenbank (so genannte Lauer-Taxe) gelistet.
Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 beanstandete die Beklagte die Abrechnungen des Klägers für die Versorgung von Versicherten mit Oxybutinin Fertigspritzen-Installationssets im Zeitraum Juli und August 2007 in einer Höhe von 28.863,01 EUR. Zur Begründung führte die Beklagte aus, dass die Fertigspritzen-Installationssets im Zeitpunkt der Abgabe in D. nicht zugelassen und damit auch nicht verordnungsfähig gewesen seien. Eine Abrechnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei daher nicht zulässig gewesen. Dem Einspruch des Klägers vom 28. Juli 2008 half die Beklagte nicht ab (Schreiben vom 24. September 2008).
Der am 5. März 2009 Sozialgericht Hamburg erhobene Antr...