Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Barrierefreiheit. blinde Person. Anspruch auf Übersendung von Bescheiden und Formularen in barrierefreier Form. Datenschutzrecht. Gewährleistung der Sicherheit der Verarbeitung. Abwägung -Geeignetheit und Angemessenheit der Maßnahmen
Orientierungssatz
1. Eine blinde Person hat sowohl nach § 10 Abs 1 S 2, Abs 2 BGG iVm §§ 3 Abs 1, 5 Abs 2 S 1 bis S 3 VBD als auch nach § 9 Abs 2 GleichstbMG HA 2020 iVm §§ 3 Abs 1, 5 Abs 2 S 1 bis S 3 BDV HA einen Anspruch darauf, dass der Grundsicherungsträger alle ihr gegenüber erlassenen Bescheide sowie alle ihr bekanntzugebenden Bescheide und alle das beiderseitige Sozialrechtsverhältnis betreffende Formulare zeitgleich mit der Versendung per Post auch in barrierefreier Form, dh als PDF-Dokument durch unverschlüsselte E-Mail, zur Verfügung stellt.
2. Art 32 EUV 2016/679 verlangt keine Datensicherheit um jeden Preis. Vielmehr muss eine Abwägung zwischen Schutzzweck und Aufwand vorgenommen werden.
3. Zur Bestimmung der geeigneten und angemessenen Maßnahmen ist die Verhältnismäßigkeit zwischen folgenden Aspekten herzustellen: dem Stand der Technik (also das technisch Mögliche und Erprobte), den Kosten, der Art und Weise der Verarbeitung sowie den Risiken für die Rechte und Freiheiten der natürlichen Person, also dem möglichen Schaden (vorliegend zum einen die Verletzung des Grundrechts des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung nach Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG und zum anderen die Verletzung seines subjektiven Abwehrrechts aus dem Benachteiligungsverbot nach Art 3 Abs 3 S 2 GG ).
Tenor
1. |
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Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger alle ihm ab dem 11. Dezember 2019 gegenüber erlassenen Bescheide sowie alle ihm bekanntzugebenden Bescheide und alle das beiderseitige Sozialrechtsverhältnis betreffenden Formulare (z.B. Weiterbewilligungsanträge sowie alle Vordrucke, die im Weiteren vom Kläger auszufüllen sind) zeitgleich mit der Versendung per Post auch in barrierefreier Form, d.h. als PDF-Dokument durch unverschlüsselte E-Mail, zur Verfügung zu stellen. |
2. |
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Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers. |
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übersendung seiner Bescheide und alle das beiderseitige Sozialrechtsverhältnis betreffenden Formulare vom Beklagten auch in barrierefreier Form, d.h. als PDF-Dokument durch unverschlüsselte E-Mail.
Der am xxxxx 1959 geborene, alleinstehende Kläger bezieht seit über 10 Jahren Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch, Zweites Buch (SGB II). Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 100 (Schwerbehindertenausweis, Bl. 114R d. Prozessakte (PA)). Er ist blind (Merkzeichen BI), hat erhebliche Beeinträchtigungen der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) und ist hilflos im Sinne des Einkommenssteuergesetzes und daher berechtigt, eine Begleitperson bei der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel mitzunehmen (Merkzeichen H) (Bl. 114R d. PA).
Bereits im Jahr 2019 wandte sich der Kläger mit einer E-Mail vom 11. Dezember 2019 an den Geschäftsführer des Beklagten und bat um barrierefreie Kommunikation (vgl. Dok. 34 d. elektr. Verwaltungsakte 1 (elektr. VA)). Mit Schreiben vom 19. Dezember 2019 (Dok. 34 d. elektr. VA) führte das Kundenreaktionsmanagement gegenüber dem Kläger aus:
„Sie beziehen laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Aufgrund Ihrer Sehbehinderung ist es Ihnen kaum möglich, Schriftstücke in Papierform zu lesen. Eine spezielle Vorlesesoftware ermöglicht Ihnen jedoch einen barrierefreien Zugang zu digitalen Schriftsätzen im .docx oder .pdf Format. Aus diesem Grunde baten Sie um Kommunikation in elektronischer Form.
Jobcenter team.arbeit.hamburg kann Ihren Wunsch nachvollziehen, teilt jedoch mit, dass eine Kommunikation per E-Mail aus datenschutzrechtlichen Gründen nur dann möglich ist, wenn die E-Mail-Nachrichten verschlüsselt versendet werden können.
Ein verschlüsselter Versand von E-Mail-Nachrichten an Kundinnen und Kunden ist Jobcenter team.arbeit.hamburg technisch nur dann möglich, wenn die Empfängerseite über ein E-Mail- Programm, welches die S/MIME basierte E-Mail-Verschlüsselung unterstützt, sowie ein Zertifikat zur verschlüsselten E-Mail-Kommunikation verfügt. In der Anlage übersendet Jobcenter team.arbeit.hamburg Ihnen die Informationsbroschüre „E-Mail-Verschlüsselung für externe Kommunikationspartner“, welcher Sie die technischen Voraussetzungen entnehmen können. Jobcenter team.arbeit.hamburg bittet Sie, Ihren Standort über die Einrichtung der technischen Voraussetzungen zu informieren, sofern Sie sich hierzu entscheiden sollten.
Darüber hinaus teilt Jobcenter team.arbeit.hamburg mit, dass Kundinnen und Kunden von Jobcenter team.arbeit.hamburg mit der diesjährigen Einführung von jobenter.digital bereits die Möglichkeit erhalten haben, Weiterbewilligungsanträge und Veränderungsmitteilungen online an Jobcenter team.arbeit.hamburg zu übersenden. Eine Einsichtnahme in Be...