Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Vorabentscheidung des EuGH. Leistung bei Krankheit bzw Leistung im Alter iS des Art 1 EWGV 1408/71. Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen durch die Pflegekasse für eine ehrenamtlich tätige Pflegeperson. Diskriminierungsverbot. leistungsbegründende Tätigkeit im In- oder EU-Ausland. Wohnsitz
Orientierungssatz
1. Können und ggf unter welchen Umständen können die Begriffe "Leistung bei Krankheit" bzw "Leistung im Alter" iS des Art 1 der EWGV 1408/71 Leistungen eines Versicherungsträgers an einen anderen Versicherungsträger umfassen, wenn der Versicherte davon nur einen abstrakten mittelbaren Vorteil hat (Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen durch die Pflegekasse für eine ehrenamtlich tätige Pflegeperson)?
2. Folgt aus einem primär- oder sekundärrechtlichem Diskriminierungsverbot, dass eine unter 1. beschriebene Leistung unabhängig davon zu gewähren ist, ob die leistungsbegründende Tätigkeit im In- oder im EU-Ausland erbracht wird und wo der Versicherte oder der unmittelbar Begünstigte seinen Wohnsitz hat?
Tatbestand
Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige. Sie wohnt in Frankreich und pflegt dort zusammen mit ihrem französischen Ehemann den gemeinsamen, ... 1993 geborenen, behinderten Sohn Maxime. Daneben arbeiten beide Eltern versicherungspflichtig mit halber Stundenzahl bei einem deutschen Unternehmen in Deutschland. Beide sind aufgrund dieser Tätigkeit in Deutschland rentenversichert.
Die Beklagte zahlt an Maxime seit 1997 monatlich Pflegegeld. Im April 2000 beantragten die Eltern bei der Beklagten die Zahlung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für nicht erwerbsmäßig tätige Pflegepersonen nach § 44 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI). Mit Bescheid vom 16. Mai 2000 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Aufgrund des ausländischen Wohnsitzes liege keine Versicherungspflicht als Pflegeperson vor. Bei der Pflegetätigkeit handele es sich weder um eine Beschäftigung, noch um eine selbständige Tätigkeit. Es gelte deshalb § 3 Nr.2 Viertes Sozialgesetzbuch (SGB IV), wonach Versicherungspflicht nur für diejenigen Personen herrsche, die ihren Wohnsitz im Inland haben. Ehrenamtliche Pflegepersonen seien deshalb nur bei inländischem Wohnsitz rentenversicherungspflichtig. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juli 2000 zurück.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 26. Juli 2000 zum Sozialgericht Hannover erhobenen Klage. Sie sieht sich und ihren Ehemann als Grenzgänger durch die ablehnende Entscheidung diskriminiert. Ihrer vollen Beitragsleistung stehe nur ein Teil der Versicherungsleistung gegenüber, die Versicherten mit Inlandswohnsitz gewährt werde.
Die Klägerin beantragt,
1. den Bescheid vom 16. Mai 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juli 2000 aufzuheben.
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Beigeladene Beiträge zur Rentenversicherung für die Pflegetätigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die ablehnende Entscheidung auch vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH zum Pflegegeldexport für rechtmäßig. Die nicht erwerbsmäßige Pflege falle nicht unter die EWG-VO Nr.1408/71 vom 14. Juni 1971, weil die Pflegeperson bei der Pflegetätigkeit weder Arbeitnehmerin sei noch eine selbständige Tätigkeit ausübe. Innerstaatlich spreche gegen die Versicherungspflicht bei Auslandswohnsitz auch § 3 Satz 6 SGB VI. Danach beeinflusse der Wohnsitzort bei bestimmten Sozialleistungsempfängern die Versicherungspflicht ausdrücklich nicht. Die ehrenamtlichen Pflegepersonen seien in dieser Vorschrift aber nicht genannt. Daraus könne rückgeschlossen werden, dass bei ihnen ein ausländischer Wohnsitz die Versicherungspflicht entfallen lasse.
Entscheidungsgründe
Für die Entscheidung des Rechtsstreites ist entscheidend, ob die Klägerin hinsichtlich ihrer ehrenamtlichen Pflegetätigkeit in den Anwendungsbereich der VO 1408/71 fällt. Dies könnte zu bejahen sein, wenn die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge durch die Pflegekasse eine Leistung wegen Krankheit oder wegen Alters an den Sohn Maxime ist und er als Leistungsberechtigter in der deutschen Pflegeversicherung einen von seinem Wohnsitzort unabhängigen Anspruch auf diese Leistung hat. Die Versicherungspflicht für ehrenamtlich Pflegende war vom deutschen Gesetzgeber in das Pflegeversicherungsgesetz aufgenommen worden, um die Bereitschaft zur häuslichen Familienpflege zu erhöhen. Sollte die Klägerin nicht in den Anwendungsbereich der VO 1408/71 fallen, könnte ihre Klage dennoch begründet sein, wenn es sich um einen nach Primärgemeinschaftsrecht diskriminierungsfrei zu gewährenden Anspruch der pflegenden Eltern handelt.
Die aufgeworfenen Fragen sind nicht schon deshalb unerheblich, weil hier möglicherweise vor der Verurteilung der Pflegekasse zur Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen zunächst der beigeladene Rentenversicherungsträger eine Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen der Versicherungspflicht zu treffe...