Entscheidungsstichwort (Thema)
Abzweigung von Arbeitslosengeld II. Aufstocker. Freibetrag bei Erwerbstätigkeit. notwendiger Selbstbehalt. Ermessensfehler
Leitsatz (amtlich)
1. Die nach § 30 SGB 2 (aF), nunmehr § 11b Abs 2 SGB 2, gewährten Freibeträge gehören nicht notwendigen Unterhalt iS des § 850d ZPO.
2. Die Entscheidung des Leistungsträgers über einen Antrag auf Abzweigung von SGB 2-Leistungen ist ermessenfehlerhaft, wenn er von vornherein eine vollständige oder teilweise Abzweigung von gezahlten Leistungen in Höhe des Erwerbstätigenfreibetrages ablehnt.
Tenor
1. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 10.12.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2011 verpflichtet über den Abzweigungsantrag vom 29.06.2010 für die Zeit vom 01.08.2010 bis 30.11.2010 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Mit der Klage begehrt der Kläger die Abzweigung von Leistungen nach dem Zweiten Buch-Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate August 2010 bis November 2010.
Der Kläger bezieht zusammen mit seiner Mutter laufende Leistungen nach dem SGB II. Der Beigeladene ist Vater des Klägers und diesem aufgrund einer Urkunde über die Verpflichtung zu Unterhaltsleistungen des Jugendamts G. vom 07.02.2005 zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Für den streitgegenständlichen Zeitraum bestand eine Unterhaltsverpflichtung in Höhe von monatlich 282,00 EUR. Dieser Unterhaltsverpflichtung kam der Beigeladene nicht nach. Er erzielte im hier streitigen Zeitraum Einkommen aus Erwerbstätigkeit für den Monat August 2010 in Höhe von 528,20 EUR brutto, für den September in Höhe von 915,59 EUR brutto, für den Monat Oktober 823,38 EUR brutto und für den Monat November 1.161,41 EUR brutto. Der Beklagte zahlt dem Beigeladenen ergänzende Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 286,36 EUR (August 2010), 100,60 EUR (September 2010), 164,30 EUR (Oktober 2010) und 15,50 EUR (November 2010). Dabei gewährt der Beklagte dem Beigeladenen die im SGB II seinerzeit vorgesehenen Freibeträge auf sein Erwerbseinkommen (§ 11 SGB II alte Fassung, § 30 SGB II alte Fassung).
Die Mutter des Klägers und alleinige Inhaberin des Sorgerechts hat durch schriftliche Erklärung vom 27.10.2003 für den Kläger eine Beistandschaft des Jugendamtes zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen einrichten lassen.
Mit Schreiben vom 29.06.2010 ließ der Kläger, vertreten durch H. bei dem Beklagten einen Antrag auf Abzweigung der dem Beigeladenen gewährten Leistungen stellen. Zur Begründung des Antrags führt der Kläger aus, dass der Beigeladene bisher keinen Unterhalt zahle. Es solle daher ein “angemessener„ Teil für ihn nach § 48 Erstes Buch- Sozialgesetzbuch (SGB I) abgezweigt werden. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 10.12.2010 ab. Zur Begründung führt er aus, dass der Beigeladene weiterhin Leistungen nach dem SGB II trotz seiner aufgenommenen Erwerbstätigkeit beziehe. Dieses Einkommen liege unter dem Selbstbehalt. Eine Abzweigung sei daher nicht möglich.
Gegen die Entscheidung des Beklagten erhob die I. mit Schreiben vom 16.12.2010 Widerspruch. Für die Abzweigung sei maßgeblich, dass dem Schuldner das Existenzminimum im Sinne des § 850 d ZPO verbleibe. Für den Beigeladenen bestünde ein Gesamtbedarf in Höhe von monatlich 555,50 EUR (323,00 EUR Regelleistung sowie 232,50 EUR für Kosten der Unterkunft). Von dem tatsächlich erzielten Einkommen würde aufgrund der gewährten Freibeträge jedoch nur ein Teil angerechnet. Aus der Gewährung von Freibeträgen ergeben sich damit Einkommen, welches zur Sicherung des Existenzminimums nicht benötigt würde. Insoweit müsse eine Abzweigung vorgenommen werden. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2011 als unbegründet zurück. Es liege ein Unterhaltstitel vor, sodass sich der zu belassene Eigenbedarf nach § 850 d ZPO richte. Nach dieser Vorschrift soll dem Unterhaltsverpflichteten der notwendige Bedarf nach den Regelungen des SGB II zu belassen. Im Regelfall käme daher lediglich eine Abzweigung bis zur Höhe des Zuschlags nach § 24 SGB II alte Fassung in Betracht. Die Abzweigung von Einkommensfreibeträgen sei hingegen nicht möglich, da diese bereits bei der Bedarfsberechnung berücksichtigt worden seien.
Mit Schreiben vom 27.04.2011, eingegangen bei Gericht am selben Tag, stellte der Kläger einen “Antrag auf Prozesskostenhilfe und Klage„. In dem Schreiben heißt es weiter: Für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird beantragt (…) Es wird ferner beantragt: Herrn J. unter Zustellung der Klage beizuladen„. In der Sache sei die Entscheidung des Beklagten fehlerhaft und deshalb aufzuheben. Die Regelung des § 850 d ZPO sei dahingehend zu verstehen, dass lediglich der Mindestbedarf nach dem SGB II von der Pfändung ausgeschlossen sei. Die vom SGB II gewährten Freibeträge auf Erwerbseinkommen dienten nicht mehr der bloßen Existenzsicherung und seien daher auch Gegenstand der Abzweigung. Die Entscheidung des...