Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Beitragsnachforderung. Arbeitnehmerüberlassung. Feststellung der rückwirkenden Tarifunfähigkeit der CGZP. equal pay-Anspruch der Leiharbeitnehmer. kein Vertrauensschutz des Verleihers. Verletzung der Aufzeichnungspflicht seitens des Arbeitgebers. Schätzungsbefugnis
Orientierungssatz
1. Die Entscheidung des BAG vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 = BAGE 136, 302 zur Tarifunfähigkeit der CGZP (Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen) wirkt nicht rechtsgestaltend, sondern feststellend. § 10 Abs 4 AÜG verpflichtet dementsprechend den Verleiher für die Zeit der Überlassung der Arbeitnehmer an diese das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die Entleiher ihren Stammarbeitnehmern gewähren.
2. Ein etwaiges Vertrauen des Verleihers in die Tariffähigkeit der CGZP ist nicht geschützt. Vertrauen kann primär in die gesetzliche Regelung des "equal-pay" (§ 10 Abs 4 S 1 AÜG) entstehen. Die Normunterworfenen konnten sich auf die gesetzliche Regelung einrichten. Ausnahmen von der gesetzlichen Regel begründen demgegenüber keinen Vertrauensschutz. Schutzwürdiges Vertrauen kann auf vermeintliche tarifvertragliche Regelungen nicht entstehen, wenn ihr Gegenstand allein darauf gerichtet ist, unter Nutzung der Tariföffnungsklausel in § 9 Nr 2 AÜG von dem gesetzlichen Gleichstellungsgebot des § 10 Abs 4 AÜG abzuweichen (vgl BAG vom 14.12.2010 - 1 ABR 19/10 aaO). Denn in diesen Fällen liegt eine Umgehung gesetzlicher Schutzvorschriften vor.
3. Zur Schätzungsbefugnis der Einzugsstelle hinsichtlich des für die Beitragsberechnung maßgebenden Arbeitsentgelts bei Verletzung der Aufzeichnungspflicht seitens des Arbeitgebers.
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Nachforderung von Gesamt-Sozialversicherungsbeiträgen.
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung. Sie verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Sie ist Mitglied des Arbeitgeberverbandes Mittelständischer Personaldienstleister (AMP). Auf die Arbeitsverträge der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer wurde mindestens seit Dezember 2005 die Tarifverträge zwischen der AMG und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalservice-Agenturen (CGZP) angewandt. Auf der Grundlage der in diesem Tarifvertrag vorgesehenen Vergütung entrichtete die Klägerin für die bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer Beiträge zur Sozialversicherung. Die letzte Betriebsprüfung nach § 28 p Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) fand in der Zeit vom 16. März 2009 bis zum 17. März 2009 für den Prüfungszeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2008 statt. Aus der Prüfung ergaben sich Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von insgesamt 1889,19 €. Es wurden zu viel gezahlte Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 349,50 € erstattet. Die stichprobenweise durchgeführte Prüfung ergab folgende Feststellungen: Die zeitliche Zuordnung gezahlter Arbeitsentgelte erfolgte nicht immer zutreffend, die Beitragszahlungen nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz erfolgte nicht immer korrekt.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte mit Beschluss vom 14. Dezember 2010 (Az.: 1 ABR 19/10) die fehlende Tariffähigkeit der CGZP festgestellt. Mit Schreiben der Beklagten vom 23. Dezember 2010 wurde auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hingewiesen und angekündigt, dass Ansprüche auf entgangene Sozialversicherungsbeiträge noch im Jahr 2010 geltend gemacht werden.
Von Klägerseite wurde der Beklagten daraufhin ein Ordner mit Auskünften der Entleiher-Unternehmen über Bezüge der Stammarbeitnehmer in den Betrieben zur Verfügung gestellt. Darin sei nach Auffassung der Beklagten die überwiegende Anzahl der Beschäftigungsverhältnisse enthalten gewesen.
Daraufhin führte die Beklagte in der Zeit vom 5. März bis 7. März 2012 eine weitere Betriebsprüfung im Unternehmen der Klägerin durch. Für den Prüfungszeitraum vom 1. Dezember 2005 bis zum 31. Dezember 2011 wurden weitere Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 75.364,13 € nachgefordert. Die stichprobenweise Prüfung habe weitere Beitragsansprüche aufgrund der Unwirksamkeit des angewandten Tarifvertrages ergeben, woraus weitere Lohnansprüche der beschäftigten Leiharbeitnehmer gemäß § 10 Abs. 4 AÜG resultieren würden. Der Gesetzgeber habe im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung seit dem 1. Januar 2004 den Grundsatz “equal-pay„ (gleicher Lohn für gleiche Arbeit) im Gesetz verankert. Die Entlohnung der Leiharbeitnehmer richte sich dementsprechend danach, was der Stammbelegschaft gezahlt werde. Von diesem Gleichbehandlungsgrundsatz könne nur abgewichen werden, wenn ein Tarifvertrag die Entlohnung abweichend regele.
Das Bundesarbeitsgericht habe in der Entscheidung vom 14. Dezember 2010 festgestellt, dass die CGZP nach ihrem satzungsmäßigen Gelt...