Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Nachbesetzung. Vertragsarztsitz. Anfechtungsbefugnis anderer Vertragsärzte gegen Genehmigungen von Berufsausübungsgemeinschaften. Zulässigkeit der Bildung einer Berufsausübungsgemeinschaft vor der Ausschreibung eines Praxissitzes. Rechtsmissbrauch wegen fehlender praktischer Umsetzung
Leitsatz (amtlich)
1. Auch für Genehmigungen von (überörtlichen) Berufsausübungsgemeinschaften liegt eine Anfechtungsbefugnis anderer (Vertrags-)Ärzte vor, wenn die Möglichkeit besteht, dass eine solche Genehmigung im Praxisnachfolgeverfahren im Hinblick auf die angemessene Berücksichtigung der Interessen der verbleibenden Partner iS von § 103 Abs 6 SGB 5 bei der Bewerberauswahl entscheidenden Einfluss auf die Entscheidung der Zulassungsgremien haben kann.
2. Zur Frage der Zulässigkeit der Bildung einer (überörtlichen) Berufsausübungsgemeinschaft vor der Ausschreibung eines Praxissitzes im Nachbesetzungsverfahren (entgegen LSG Potsdam vom 12.9.2012 - L 7 KA 70/11).
3. Ein Gestaltungsmissbrauch in Form eines Missbrauchs der Rechtsform liegt auch in Fällen vor, in denen die formal gewählte Rechtsform nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht (vgl BSG vom 23.6.2010 - B 6 KA 7/09 R = BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr 4).
Nachgehend
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 8.; diese tragen ihre Kosten selbst.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die der Beigeladenen zu 1. erteilte Genehmigung als überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft.
Der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Niedersachsen ordnete mit Wirkung vom 19. Juni 1993 für den Planungsbereich U. - kreisfreie Stadt - für die Arztgruppe der Urologen eine Zulassungsbeschränkung gem. § 103 Abs. 1 SGB V an. Nach den Feststellungen des Landesausschusses beträgt der Versorgungsgrad für Urologen im Planungsbereich U. - kreisfreie Stadt - 126,2 % laut der Fortschreibung 2/2012 und 126,1 % laut der Fortschreibung 3/2012. Nach dem Bedarfsplan 3/2013 liegt der Versorgungsgrad bei 120 %.
Ein Partner der Beigeladenen zu 1. (P., im Folgenden der abgebende Partner) wurde am 2. Juni 1986 als Facharzt für Urologie für einen Vertragsarztsitz in U. zugelassen. Am 8. Februar 2011 unterzeichnete er einen vom Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen zu 1. entworfenen Vertrag über eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft mit den übrigen Partnern der Beigeladenen zu 1. Der abgebende Partner der Beigeladenen zu 1. unterzeichnete am selben Tag einen Vertrag über die Übertragung seines Anteils an dieser überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft mit den Vertragsparteien (die anderen Partner der Beigeladenen zu 1.) auf Q. Der Kaufpreis war in § 2 mit einem Wert von 355.000,00 € beziffert. Die Vertragsparteien (die Partner der Beigeladenen zu 1.) beantragten die Genehmigung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft am 9. Februar 2011.
Die Beigeladene zu 2. beanstandete im Genehmigungsverfahren der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft mit Schreiben vom 15. Februar 2011, dass eine Gewinnverteilung auf Gesellschaftsebene nicht stattfinden würde, da der Gewinn nach Betriebsstätten ermittelt und verteilt werden sollte. Es fehle an einer Beteiligung der Gesellschafter an der Entwicklung an den jeweils anderen Betriebsstätten und damit an einer Mitunternehmerinitiative und an einem Mitunternehmerrisiko in Bezug auf eine gemeinsame Berufsausübung. Auch sei im Vertrag nicht vorgesehen, dass die Gesellschafter an einer anderen Betriebsstätte tätig werden. Vertretungen seien nicht vorgesehen und die Beteiligung am ideellen Wert sei widersprüchlich, da die Partner der Beigeladenen zu 1. aufgrund der Formulierung der “bisherigen Praxen„ als Gemeinschaftspraxis wie ein Gesellschafter behandelt würden.
Die Vertragspartner reichten am 2. März 2011 eine Ergänzungsvereinbarung ein, aus der sich teilweise den zuvor genannten Kritikpunkten Rechnung tragende Korrekturen des Vertrages ergaben, soweit diese wie z.B. die Pflicht zur gegenseitigen Vertretung in § 16 nicht bereits im Vertrag berücksichtigt worden waren. Der Zulassungsausschuss für Ärzte für den Zulassungsbezirk U. genehmigte mit Beschluss vom 2. März 2011 und Wirkung zum 1. April 2011 dem abgebenden Partner der Beigeladenen zu 1. die gemeinsame Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit mit den übrigen Partnern der Beigeladenen zu 1. sowie einem weiteren Arzt.
Hiergegen erhob der Kläger am 27. Oktober 2011 Widerspruch und beantragte sinngemäß, den Grad der Kooperation der Beigeladenen zu 1. zu ermitteln. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Beschluss vom 30. November 2011 als offensichtlich unzulässig zurück. Der Kläger sei nicht anfechtungsberechtigt. Gegenstand des Widerspruchsverfahrens sei ausschließlich die Genehmigung der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft und nicht das Nachbeset...