Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 20.017,51 Euro nebst Zinsen hie-rauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04. August 2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zahlung von Behandlungskosten für einen in der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) behandelten Häftling, der nach Vollzugslockerungen nicht in die Justizvollzugsanstalt zurückgekehrt war.

Der am I. geborene J. (H.) war vor seiner Inhaftierung Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung bei der Beklagten. Er befand sich ab 23. Februar 2015 in der Justizvollzugsanstalt K. (Abteilung L.) in Strafhaft. Unter dem 24. Juni 2016 war H. aus dem offenen Vollzug entwichen. Am 30. Juni 2016 gegen 8:00 Uhr morgens verursachte H. mit einem Mietwagen einen Verkehrsunfall und prallte wahrscheinlich in suizidaler Absicht frontal mit hoher Geschwindigkeit ungebremst gegen einen Baum. Er wurde schwerstverletzt mit dem Rettungshubschrauber in die MHH geflogen, wo er noch am Aufnahmetag (11:49 Uhr) verstarb. Mit Rechnung vom 07. Mai 2018 machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Kosten für die Behandlung in Höhe von 20.017,51 Euro geltend. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass sie die Behandlungskosten nicht übernehmen werde, da H. zum Zeitpunkt der Behandlung nicht mehr bei ihr versichert gewesen sei, die Mitgliedschaft habe im Februar 2015 geendet.

Bereits zuvor hatte der Beigeladene zu 2. der Klägerin mitgeteilt, dass das Strafvollzugsverhältnis nach dem Entweichen des Gefangenen am 24. Juni 2016 unterbrochen war und dieser wegen des unterbrochenen Strafvollzugsverhältnisses am 30. Juni 2016 gegen die Vollzugsbehörde keinen Anspruch auf Krankenhausbehandlung hatte.

Die Klägerin hat am 15. Februar 2019 Klage vor dem Sozialgericht Hannover erhoben. Sie ist der Auffassung, der Strafvollzug (offene Vollzug) sei durch die Flucht unterbrochen worden, daher habe im Zeitpunkt der Behandlung kein Anspruch mehr auf Gesundheitsfürsorge durch die Vollzugsbehörde bestanden. Da kein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall vorgelegen habe, sei H. Mitglied der Beklagten aufgrund der Auffangpflichtversicherung (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung - SGB V) geworden. Der Anspruch auf Leistungen habe nicht mehr gemäߧ 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V geruht, weil mit dem Entweichen aus dem Strafvollzug das Vollzugsverhältnis unterbrochen war und vor dem Versterben nicht mehr wiederhergestellt werden konnte. Auch die seitens der Beklagten geäußerte Rechtsauffassung, H. sei mit Einlieferung in die MHH wieder der Heilfürsorge der Justizverwaltung unterfallen, weil er mit Einlieferung zwecks weiteren Strafvollzugs festgenommen worden sei, sei nicht zu folgen. Allein die notfallweise Einlieferung einer aus dem Strafvollzug entwichenen Person durch die Besatzung eines Rettungshubschraubers in ein öffentliches Krankenhaus habe nicht ohne weiteres die Fortsetzung des Strafvollzugsverhältnisses zur Folge.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, ihr 20.017,51 Euro nebst Zinsen hierauf in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4. August 2018 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Vollzugsbehörde im Rahmen der von ihr zu gewährenden Gesundheitsfürsorge die Kosten der Behandlung des Patienten H. zu tragen habe. Zum Zeitpunkt der Behandlung habe ein Strafvollzugsverhältnis bestanden und eine Flucht könne nicht dazu führen, dass das Strafvollzugsverhältnis beendet werde. Es sei nur unterbrochen und damit haben die Vollzugsbehörden im Rahmen der von ihnen zu gewährenden Gesundheitsfürsorge die Kosten zu tragen. Wäre es anders und würde entscheidend sein, ob die Vollzugsbehörden tatsächlich Zugriff auf den Gefangenen haben, würde auch bei Hafturlaubern und Freigängern die gesetzliche Krankenkasse einstehen müssen. Maßgeblich könne für die Einstandspflicht nur die Frage sein, ob grundsätzlich ein Strafvollzugsverhältnis bestehe oder nicht, andernfalls komme es zu praktischen Schwierigkeiten in der Zuständigkeitsverteilung.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Der Beigeladene zu 1., der Sozialhilfeträger, verweist darauf, dass er kein Ausfallbürge sei, vielmehr greife der Nachranggrundsatz, denn der Anspruch des Hilfebedürftigen auf Krankenschutz durch einen Träger der Krankenversicherung gehe einem Anspruch auf Krankenhilfe aus Sozialhilfemitteln voraus. Somit sei die Beklagte vorrangig verpflichtet.

Der Beigeladene zu 2., als zuständige Behörde für den Strafvollzug, schließt sich inhaltlich der Argumentation der Klägerin an und führt aus, dass durch die Einlieferung in die MHH das Strafvollzugsverhältnis nicht fortgesetzt worden sei; es läge weder eine Festnahme zum Zwecke des Strafvollzuges vor, noch habe sich der Versicherte gestellt, vielmehr sei das Vollzugsverhältnis durch die Flucht des Versicherten (weiterhin) beendet gewe...

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