Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. notfallmäßige Behandlung eines nicht erwerbstätigen und mittellosen Unionsbürgers. keine Auffangpflichtversicherung. Sozialhilfe. Nothelfer. verspäteter Antrag. kein Kostenerstattungsanspruch gegen den Sozialhilfeträger. sozialgerichtliches Verfahren. einheitlicher Streitgegenstand. teilweise Kostenprivilegierung. kostenfreies Verfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Ein EU-Staatsangehöriger ist nach § 5 Abs 11 S 2 SGB 5 nicht Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse über die Auffangpflichtversicherung des § 5 Abs 1 Nr 13 SGB 5 , wenn die Voraussetzung für die Wohnortnahme in Deutschland die Existenz eines Krankenversicherungsschutzes nach § 4 FreizügigkeitsG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) ist.
2. Es besteht nach § 25 S 2 SGB 12 kein Anspruch eines Krankenhauses auf Kostenerstattung als Nothelfer, wenn die Erstattung erst über einen Monat nach Bekanntwerden von erheblichen Zweifeln an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Patienten beim zuständigen Träger der Sozialhilfe beantragt wird.
3. Bei einem einheitlichen Streitgegenstand reicht die nur teilweise Kostenprivilegierung aus, um das gesamte Verfahren zu einem kostenfreien Verfahren zu machen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Widerklage des Beigeladenen wird abgewiesen.
Der Beigeladene hat der Klägerin 20 % ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Ansonsten sind außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Erstattung von Kosten für eine stationäre Krankenhausbehandlung in Höhe von zuletzt noch 94.708,79 €.
Die Klägerin betreibt ein nach § 108 SGB V zur Behandlung von gesetzlich krankenversicherten Patienten zugelassenes Krankenhaus. In dieses wurde am 24.07.2019 der 1968 geborene Patient V. P. als Notfall mit einer Hirnblutung eingeliefert und dort vom 24.07.2019 bis 02.12.2019 stationär behandelt.
Der Patient V.P. ist rumänischer Staatsangehöriger. Er hielt sich zunächst als Saisonarbeiter in Spanien auf und zog am 27.09.2018 nach Deutschland. Zum Zeitpunkt der Krankenhausaufnahme war der Patient im Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen wohnhaft, nicht ansprechbar und hatte nur seine rumänischen Ausweispapiere und keine europäische Krankenversicherungskarte dabei. Der Patient war nicht erwerbstätig, nicht bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und stand der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung. Er verfügte weder über Einkommen noch über Vermögen.
Die Klägerin ersuchte zunächst bei der rumänischen Krankenversicherung um Kostenübernahme. Am 09.08.2019 teilte die rumänische Krankenversicherung mit, der Patient sei in Rumänien nicht krankenversichert. Nach weiterer Recherche stellte die Klägerin fest, dass der Patient über eine spanische Versichertenkarte verfügte und ersuchte in der Folge die spanische Krankenversicherung erfolglos um Kostenübernahme.
Die Klägerin schickte am 27.09.2019 vorsorglich eine Aufnahmeanzeige an das Landratsamt L., welches der Klägerin unter dem 08.10.2019 mitteilte, zuständig sei aufgrund der Meldeadresse des Patienten der Beigeladene. Daraufhin bat die Klägerin mit Schreiben vom 10.10.2019 den Beigeladenen um Kostenzusage oder Mitteilung der zuständigen Krankenkasse.
Die Klägerin stellte der Beklagten Ziff. 1 unter dem 07.04.2020 und der Beklagten Ziff. 2 unter dem 30.12.2021 für die stationäre Behandlung des V. P. jeweils 212.597,40 € in Rechnung. Die Beklagte Ziff. 1 und 2 lehnten die Kostenübernahme ab. Der Beigeladene lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 11.05.2021 ab. Das dagegen anhängige Widerspruchsverfahren stellte der Beigeladene im Hinblick auf das vorliegende Klageverfahren ruhend.
Die Klägerin hat am 30.12.2021 Klage zum Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben, zu deren Begründung sie im Wesentlichen vorträgt, die Beklagte Ziff. 1 sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 a SGB V zur Kostenerstattung verpflichtet. Ein Leistungsausschluss nach § 5 Abs. 11 S. 2 SGB V liege nicht vor, weil der Patient ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügigkeitsG/EU habe. § 4 FreizügigkeitsG/EU finde keine Anwendung bzw. müsse europarechtskonform ausgelegt werden. Schließlich sei die Beklagte Ziff. 1 nach § 264 Abs. 2 SGB V zur Kostenübernahme verpflichtet, weil dem Patienten ein Anspruch auf Überbrückungs- und Härtefallleistungen nach § 23 Abs. 3 S. 3 bis 6 SGB XII zugestanden habe. Die Beklagte Ziff. 2 sei einstandspflichtig, da derzeit die Möglichkeit bestehe, dass nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V wegen eines Arbeitsunfalls Krankenversicherungspflicht bestanden habe. Zumindest bestehe ein Anspruch der Klägerin gegen den Beigeladenen nach § 25 SGB XII.
Mit Schriftsatz vom 31.05.2022 hat die Klägerin aufgrund einer fiktiven Neuberechnung der Entgelte mit früherem Entlassungsdatum ihre Klageforderung auf 94.708,79 € reduziert.
Das Gericht hat mit Beschluss vom 03.08.2022 das Landratsamt E. zum Verfahren beigeladen und mit den Beteiligten am 12.01.2023 einen Erörterungstermin durchgeführt.
Mit Schreiben vom 18.06.2023 ha...