Entscheidungsstichwort (Thema)

Betriebsprüfung. Arbeitgebereigenschaft eines Alleinunternehmensinhabers. Verpflichtung zur Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags. Rechtsschein. Rechtsscheinshaftung

 

Leitsatz (amtlich)

Arbeitgeber und damit beitragsverpflichtet ist grundsätzlich derjenige, der lediglich formal als Alleinunternehmensinhaber eingetragen ist ("seinen Namen hergibt"). Er muss auch für Beitragsverpflichtungen einstehen, wenn diese durch Handlungen eines alleingeschäftsführenden Dritten ohne sein Wissen begründet worden sind (vgl BSG vom 12.11.1986 - 9b RU 8/84 = BSGE 61, 15 = SozR 2200 § 723 Nr 8; SG Frankfurt vom 13.8.1986 - S 1/9 Kr 136/76 = NZA 1987, 141; entgegen SG Leipzig vom 27.2.2004 - S 8 KR 219/03 ER). Maßgeblich ist die rechtliche Möglichkeit der Einwirkung auf das Unternehmen, nicht die tatsächliche Ausübung.

 

Tenor

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 09.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2010 wird abgelehnt.

2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens und seine außergerichtlichen Kosten zu tragen.

3. Dem Antragsteller wird ratenlose Prozesskostenhilfe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes unter Beiordnung von Frau Rechtsanwältin E., bewilligt.

4. Der Streitwert für das einstweilige Rechtsschutzverfahren wird auf 5.753,94 EUR festgesetzt.

 

Gründe

A.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen einen nach einer Betriebsprüfung ergangenen Bescheid über Sozialversicherungsbeiträge.

Auf Vorschlag des 1963 geborenen Herrn F. G., der sein Transportunternehmen nach einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren abgemeldet hatte, meldete der 1969 geborene Antragsteller im Januar 2007 ein Transportgewerbe an und bevollmächtigte Herrn G., über ein auf den Namen des Antragstellers eingerichtetes Bankkonto zu verfügen. Der Antragsteller erhielt von Herrn G. 50,- EUR wöchentlich, jedoch in der Folgezeit keine weiteren Informationen über den Fortgang des Gewerbes und den Stand des Kontos.

Seit März 2007 führte Herr G. - vorrangig unter der Firmenbezeichnung "H. " und unter Nutzung der vom Antragsteller eingeräumten Kontovollmacht - mit mehreren angemieteten Kleinbussen Personentransporte durch und beschäftigte hierzu mehrere Personen als Fahrer. Herr G. erteilte sämtliche Fahraufträge, teilte Fahrzeuge und Routen zu und zahlte die Löhne an die Fahrer aus. Die Fahrer erhielten für ihre Tätigkeit eine geringe oder keine Vergütung, durften jedoch die betrieblichen Fahrzeuge nach ihrem eigenen Ermessen unentgeltlich benutzen. Meldungen zur Sozialversicherung erfolgten nicht.

Ab Oktober 2007 wurden im Einvernehmen mit der Antragsgegnerin Ermittlungen des Hauptzollamts durchgeführt. Dabei gab der Antragsteller im Rahmen einer Zeugenvernehmung am 23.10.2007 an, er sei lediglich Strohmann des von Herrn G. betriebenen Transportgewerbes. Sein Gewerbe, das er unter den Namen "I. " betreibe, befinde sich noch im Aufbau und er beschäftige keine Arbeitnehmer. Herr G. habe seine Naivität ausgenutzt, um sein Gewerbe fortzuführen.

Zur Dauer ihrer Tätigkeit und zur Höhe ihrer Vergütung gaben im Rahmen von Vernehmungen des Hauptzollamts J. im April 2009 an

- Herr K. eine Beschäftigung seit März 2007 in einem nicht bezeichneten Umfang ohne Vergütung,

- Frau L. eine Beschäftigung seit Anfang Januar 2009 mit einer Arbeitszeit von ca. 7 Wochenstunden gegen ein Nettoentgelt 130,- bis 140,- EUR pro Monat,

- Frau M. eine Beschäftigung seit März 2007 mit einer Arbeitszeit von ca. 14 Wochenstunden gegen ein Nettoentgelt von durchschnittlich 60,- bis 90,- EUR monatlich,

- Herr N. eine Beschäftigung seit März 2007 mit einer Arbeitszeit von ca. 15 Wochenstunden gegen ein Nettoentgelt von 150,- EUR,

- Herr O. eine Beschäftigung seit April 2009 mit einer Arbeitszeit von ca. 6,5 Stunden wöchentlich gegen ein Nettoentgelt von 400,- EUR pro Monat.

Das sich an die 2009 abgeschlossenen Ermittlungen des Hauptzollamts anschließende Strafverfahren gegen den Antragsteller wegen eines Verstoßes gegen die §§ 266a Strafgesetzbuch (StGB), 370 Abgabenordnung (AO) wurde nach § 153 Strafprozessordnung (StPO) eingestellt, bei Herrn G. wurde von der Verfolgung wegen anderer Taten abgesehen (§ 154 StPO).

Die Antragsgegnerin erließ nach Anhörung des Antragstellers unter dem 09.03.2010 einen Beitragsbescheid über insgesamt 13.287,88 EUR (Beitragsforderung 11.507,88 EUR und Säumniszuschläge 1.780,- EUR). Für 2007 und für den Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009 seien die gezahlten Entgelte anhand der Aussagen der Fahrer gegenüber dem Hauptzollamt ermittelt, im Übrigen geschätzt worden. Die an die Fahrer gezahlten Entgelte und die aus der Überlassung der Kraftfahrzeuge erwachsenden geldwerten Vorteile seien beitragspflichtige Arbeitsentgelte. Teilweise seien auch die Grenzen einer geringfügigen Beschäftigung überschritten worden. Im Einzelnen wurden zur Beitragsberechnung Tätigkeiten zu Grunde gelegt

- der Frau M. in einem Zeitraum...

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