Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Blindenhilfe. Vermögenseinsatz. Eigentum eines Dritten. Verwertung eines PKW. Härte iS des § 90 Abs 3 S 1 SGB 12
Leitsatz (amtlich)
1. (Kein) verwertbares Vermögen bei im Eigentum eines Dritten stehenden Gegenständen.
2. Verwertung eines Pkw bei mobilitätseingeschränkten Personen kann eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII darstellen.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Stadt E. vom 04.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 20.02.2006 verpflichtet, dem Kläger ab dem 03.01.2005 Blindenhilfe in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Tatbestand
Der am … geborene Kläger hatte zunächst Blindenhilfe bezogen. Nachdem der Landesgesetzgeber zum Ende des Jahres 2004 diese Sozialleistung abgeschafft hatte, begehrte er von der namens und im Auftrag des Beklagten handelnden Stadt E. mit dort am 03.01.2005 eingegangenem Antrag die Gewährung von Blindenhilfe.
Die Vermögensüberprüfung ergab, dass die mit dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebende Ehefrau Eigentümerin ein PKW Citroen C 3 ist, der im August 2004 von ihr für ca. 16.000,00 EUR angeschafft worden war. Das von der Stadt E. eingeschaltete Gesundheitsamt kam nach amtsärztlicher Begutachtung der Ehefrau des Klägers zu dem Ergebnis, dass bei ihr keine schwerwiegenden Einschränkungen der Gehstrecke vorlägen, sie öffentliche Verkehrsmittel nutzen und auf ein Fahrzeug mit Automatikgetriebe nicht angewiesen sei.
Daraufhin lehnte die Stadt E. mit Bescheid vom 04.02.2005 den Antrag ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der PKW einzusetzendes Vermögen sie und sein Wert deutlich über dem bei der Gewährung von Blindenhilfe zu berücksichtigenden Schonvermögen in Höhe von 3.214,00 EUR liege. Die Verwertung des Fahrzeugs führe auch zu keiner besonderen Härte, da es sich hier um keinen atypischen Einzelfall handele. Auch die Erkrankung der Ehefrau des Klägers ändere an dieser Beurteilung nichts, da der Kläger und seine Ehefrau, die in E. auf dem L. leben, auf den ÖPNV zurückgreifen könnten. Der dagegen am 21.02.2005 eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20.02.2006 zurückgewiesen.
Am 20.03.2006 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, dass er und seine ebenfalls schwerbehinderte Ehefrau auf den PKW, dessen Verwertung wirtschaftlich unzumutbar sei, angewiesen seien und für ihn die Benutzung des ÖPNV unzumutbar sei. Für ihn gelte daher die Härtefallregelung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Stadt E. vom 04.02.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 20.02.2006 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, an den Kläger monatliche Blindenhilfe in Höhe von mindestens 396,67 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verteidigt die angefochtenen Bescheide und nimmt auf sie Bezug.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen; diese war Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat ab Antragstellung Anspruch auf Bewilligung von Blindenhilfe in gesetzlicher Höhe.
Nach § 72 Abs. 1 Satz 1 SGB XII wird blinden Menschen zum Ausgleich der durch die Blindheit bedingten Mehraufwendungen Blindenhilfe gewährt, soweit sie keine gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhalten. Der Kläger erhält keine entsprechende Hilfe von anderer Seite.
Die Gewährung der Hilfeleistung steht unter dem Vorbehalt des Nichtüberschreitens der Einkommensgrenzen nach §§ 85 ff. SGB XII bzw. der Wahrung der Vermögensfreigrenze nach §§ 90, 91 in Verbindung mit der Verordnung zur Durchführung des § 90 SGB XII.
Unzutreffend sind im vorliegenden Fall die Stadt E. bzw. der Beklagte davon ausgegangen, dass das Vermögen der mit dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebenden Ehefrau die Freibetragsgrenze nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 b und Nr. 2 der Verordnung zur Durchführung des § 90 SGB XII von 3.214,00 EUR (2.600,00 EUR für den Kläger und 614,00 EUR für seine Ehefrau) überschritten hatte. Zwar hatte der im Eigentum der Ehefrau des Klägers stehende PKW Citroen C 3 im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides - und darauf kommt es an - noch einen Wert (= Händlereinkaufswert) von ca. 8.600,00 EUR. Dieser Betrag ergibt sich nach der Aussage des sachverständigen Zeugen M. im Verhandlungstermin, an deren Richtigkeit keinerlei Zweifel bestehen und auch von den Beteiligten nicht geäußert wurden. Jedoch stellt das Fahrzeug für den Kläger - der die Blindenhilfe als Anspruchsteller begehrt - kein verwertbares Vermögen dar, da nicht er, sondern seine Ehefrau dessen Eigentümerin ist. Gegenstände, die im Eigentum eines Dritten stehen, sind regelmäßig für einen Leistungsempfänger unverwertbar, es sei denn, es liegt ein Scheinerwerb bzw. sittenwidriges Verfügungsgeschäft dem zugrunde (vgl. Brühl/Geiger in ...