Leitsatz (amtlich)

1. Aus der Aktivlegitimation des § 119 SGB X resultiert eine Verpflichtung der Rentenversicherung als gesetzlich bestimmter fremdnütziger Treuhänder.

2. Weicht die Rentenversicherung im Beitragsregress zulasten des Versicherten von dessen zivilgerichtlich erstrittener Haftungsquote aus Gründen der Vereinfachung ihres Verwaltungsverfahrens ab, kann dies einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch auslösen, der vor einem Amtshaftungsverfahren verfolgbar ist.

3. § 119 Abs. 3 SGB X kann einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht entgegengehalten werden, wenn der Leistungsträger die Voraussetzungen des Beitragsregresses durch sein pflichtwidriges Verhalten vereitelt hat.

 

Tenor

Der Bescheid vom 08.08.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.11.2017 wird aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, dem Rentenversicherungskonto des Klägers über die Abrechnung mit der L hinaus Pflichtbeitragszeiten aus dem Verdienstausfall nach dem Unfall vom 08.06.1993 bis zu einer Haftungsquote von 80% zugunsten des Klägers aufzufüllen und unter Einschluss der Beitragszeiten für Dezember 2014 bis Juli 2020 auf Basis der Verdienstausfallberechnungen aus der Anlage zum Schriftsatz vom 15.04.2021.

Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt die Beklagte.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die beim Kläger zu berücksichtigenden Pflichtbeitragszeiten auf seinem Rentenversicherungskonto.

Der Kläger erlitt am 08.06.1993 einen Motorradunfall und führte nachgehend einen Rechtsstreit zur Haftungsverteilung. Mit Urteil vom 01.07.1999, Az. 6 O 182/1998 hat das Oberlandesgericht H entschieden, dass eine Haftungsverteilung von 80% zulasten des Unfallgegners und eine Berücksichtigung eines Mitverschuldens des Klägers von 20% zu berücksichtigen ist. Der Verdienstausfallschaden des Klägers mit dem Schädiger ist mit dessen Haftpflichtversicherung, der L, seitdem auf dieser Haftungsgrundlage abgerechnet worden. Nach einer Rentenauskunft, die dem Kläger zu niedrig erschien beauftragte er seine Bevollmächtigte. Dieser teilte die Beklagte am 26.08.2013 und 29.08.2013 mit, sie habe sich im Jahre 1995 mit der Gegenseite auf eine Haftungsquote von 2/3 verständigt. Seitdem sind dem Rentenversicherungskonto des Klägers seit dem Unfall Pflichtbeiträge unter Berücksichtigung einer Haftungsquote von 2/3, basierend auf dem jeweils ermittelten jährlichen Verdienstausfallschaden gutgeschrieben worden und zwar bis zu dessen 60. Lebensjahr. Die Bevollmächtigte des Klägers erkundigte sich bei der L am 18.09.2013 nach einem Abfindungsvergleich und Haftungsquote und erhielt die Auskunft, der Vergleich sei nicht verschriftlich worden und keine konkrete Abfindungsquote vereinbart worden. Einen Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung wies die Beklagte mit Schreiben vom 09.03.2015 zurück.

Mi Schreiben vom 09.06.2017 erbat die Bevollmächtige des Klägers um die Erteilung eines Bescheides, um den Rentenverkürzungsschaden verfolgen zu können. Mit Bescheid vom 08.08.2017 lehnte die Beklagte eine Entschädigung und Anhebung der gespeicherten Beitragszeiten aus Regress ab. Ihre angenommene Haftungsquote von 2/3 sei anders als die landgerichtliche Würdigung und entspreche der Haftungsverteilung in vergleichbaren Fällen. Es bestehe keine Rechtsnorm, die eine Bindung des Regresses durch den Rentenversicherungsträger an die Regelung der Direktregulierung vorsehe. Eine Anhebung im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sei nicht möglich. Dieser setze voraus, dass der Sozialleistungsträger eine dem Betroffenen gegenüber obliegende Pflicht verletzt und dadurch einen Nachteil zugefügt habe. Da die Haftungsquote durch die Deutsche Rentenversicherung nach pflichtgemäßen Ermessen im möglichen Handlungsrahmen ermittelt worden sei und keine Bindungswirkung an die durch das LG ausgeurteilte Haftungsquote bestehe, lägen diese Voraussetzungen nicht vor. Darüber hinaus könne im sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nur eine Handlung gefordert werden, die rechtlich zulässig sei. Es sei aber rechtlich gerade nicht zulässig, Beitragszeiten in das Versicherungskonto aufzunehmen, wenn diesen, - wie hier in der Differenz zwischen der berücksichtigten 2/3 Haftungsquote zu der 80% Haftungsquote - keine entrichteten Beiträge zugrunde lägen. Der nach § 119 Abs. 3 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ausdrücklich vorgesehene Beitragseingang könne nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ersetzt werden.

Hiergegen erhob die Bevollmächtigte des Klägers am 11.08.2017 Widerspruch. Die Beitragsregressansprüche seinen mit dem Unfallereignis auf die Beklagte übergegangen. Wenn sich die Beklagte die Beitragsansprüche im Jahr 1995 ungeachtet der Haftungsquote habe abfinden lassen, müsse sie dem Versicherungskonto die Beiträge gutschreiben, die sie bei pflichtgemäßer Behandlung hätte regressieren können und zwar unabhängig davon, ob die Abfindungszahlung ausreichend gewesen sei. Die Beklagte sei indirekt an die vom OLG entsch...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge