Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf. unabweisbarer laufender besonderer Bedarf. FFP2-Masken für Arbeitsuchende während der Corona-Pandemie. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Arbeitsuchenden steht zur Deckung ihres besonderen Schutzbedarfes gegen Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 ein subjektives Recht auf die Bereitstellung von wöchentlich 20 medizinischen Mund-Nasen-Bedeckungen zu, welche den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards entsprechen.
2. Den Trägern der Grundsicherung bleibt unbenommen, anstelle dieser Sachleistung im Wege der Geldleistung ein um kalendermonatlich 129,- € höheres Arbeitslosengeld II zur Deckung des Mehrbedarfs zu gewähren.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller als Zuschuss zu dem durch Bescheid vom 02.12.2020 bewilligten Arbeitslosengeld 2 rückwirkend zum 25.01.2021 und bis 20.06.2021 hinaus sowie längstens bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über seinen Überprüfungsantrag vom 22.01.2021, vorläufig als Sachleistung kalenderwöchentlich 20 Atemschutzmasken ohne Ausatemventil zur Verfügung zu stellen, welche den Anforderungen der Standards FFP2 (DIN EN 149:2001), KN95, N95 oder eines vergleichbaren Standards entsprechen.
Der Antragsgegner kann diese Verpflichtung nach seiner Wahl auch dadurch erfüllen, dass er dem Antragsteller als Zuschuss zu dem durch Bescheid vom 02.12.2020 bereits bewilligten Arbeitslosengeld 2 rückwirkend zum 25.01.2021 und bis 20.06.2021 hinaus sowie längstens bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über seinen Überprüfungsantrag vom 22.01.2021, vorläufig weitere
- 30,- € für den Bewilligungszeitraum 25.01. bis 31.01.2021 nachzahlt,
- 129,- € für den Bewilligungsmonat Februar 2021 nachzahlt,
- 129,- € für den Bewilligungsmonat März 2021 im Voraus auszahlt,
- 129,- € für den Bewilligungsmonat April 2021 im Voraus auszahlt,
- 129,- € für den Bewilligungsmonat Mai 2021 im Voraus auszahlt und
- 90,- € für den Bewilligungszeitraum 01.06. bis 20.06.2021 im Voraus auszahlt.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe
I.
Anlässlich der Ende Januar 2021 wegen der Coronavirus SARS-CoV-2-Pandemie (Corona-Pandemie) verschärften Pflicht zur Tragung bestimmter Arten von Mund-Nasen-Bedeckungen (MNBen) begehrt der Antragsteller vom Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die mehrbedarfsweise Gewährung entsprechender Masken.
Seit vielen Jahren bezieht der 1980 geborene, alleinstehende, erwerbsfähige, nicht berufstätige und - aus seinen hier bereits zuvor insgesamt 81 angestrengten erstinstanzlichen Sozialgerichtsverfahren - gerichtsbekanntermaßen dauerhaft vermögens- wie einkommenslose Antragsteller zur Sicherung seines Lebensunterhalts vom Antragsgegner laufend Arbeitslosengeld 2.
Aufgrund der Corona-Pandemie führte das Land Baden-Württemberg 2020 eine Pflicht zur Tragung von MNBen ein, welche ursprünglich nicht für den professionellen Gebrauch in Medizinberufen konstruiert worden waren (nonmed. MNBen). Der Antragsteller brachte beim Sozialgericht Karlsruhe anschließend einen ersten Eilantrag wegen seiner Mehrkosten zur Selbstbeschaffung solcher nonmed. MNBen an. Diesen lehnte das Gericht mit der Begründung ab, trotz deren pandemiebedingter Beschaffung bestehe kein Mehrbedarf. § 3 Abs. 1 der Verordnung der Landesregierung des Landes Baden-Württemberg über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (CoronaVO) verpflichte nicht zum Tragen einer bestimmten Art von MNB. Das bloße Tragen von Alltagsmasken oder vergleichbaren nonmed. MNBen genüge. Deren Vorhaltung sei aus dem pauschalierten Regelbedarf nach § 20 SGB II finanzierbar. Es bereite keinen nennenswerten finanziellen Mehraufwand, einen Schal oder ein getragenes Bekleidungsoberteil nach oben über Mund und Nase hoch zu ziehen (Sozialgericht Karlsruhe, 10.06.2020, S 12 AS 1310/20 ER).
Den ihm unter Hinweis auf den Ablauf des letzten Bewilligungszeitraumes übersandten Vordruck zur Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld 2 füllte der Antragsteller zwar nicht aus. Er teilte dem Antragsgegner aber per Telefax vom 15.11.2020 wörtlich mit: „Ich beantrage die Weiterbewilligung von Arbeitslosengeld 2. Ich habe keinen [sic!] Einkommen und kein Vermögen, in meinen wirtschaftlichen und persönlichen Voraussetzungen gab es keine Änderung.“
Der Antragsgegner bewilligte ihm daraufhin mit Bescheid vom 02.12.2020 für die Zeit vom 01.01.2021 bis 31.12.2021 Arbeitslosengeld 2 in einer Gesamthöhe von monatlich 756,50 € in der Gestalt von Regelbedarfsleistungen in Höhe von (i.H.v.) 446,- € nebst Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung i.H.v. 310,50 € (hiervon für Grundmiete: 203,50 €; für Heizkosten: 42,- €; für sonstige Nebenkosten: 65,- €).
Am 19.01.2021 kamen die Bundeskanzlerin...