Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Angemessenheit von Umzugskosten für ein Umzugsunternehmen im Bezug existenzsichernder Leistungen
Leitsatz (amtlich)
1. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Umzug unter Heranziehung studentischer Umzugshelfer stets kostengünstiger wäre als die Beauftragung eines Umzugsunternehmens mit dem gesamten Umzug.
2. Die Verwaltungspraxis des Jobcenters Karlsruhe, als Tageslohn für (studentische) Umzugshelfer pauschal nur 50,- € zu übernehmen, ist evident rechtswidrig, weil der Mindestlohn 12,50 € beträgt und ein regulärer Arbeitstag acht Stunden dauert, sodass die Tagespauschale mindestens doppelt so hoch sein muss.
3. Der Abbau und das Entfernen der eigenen Einbauküche sind beim Auszug aus einer angemieteten Wohnung vom Mieter geschuldet und die dadurch entstehenden Kosten als wirtschaftliche Umzugskosten im Sinne von§ 22 Abs. 6 SGB II anzusehen, wenn durch die Mitnahme der Einbauküche verhindert werden kann, dass in der neuen Wohnung eine neue Einbauküche zulasten der öffentlichen Hand in kostspieligerer Weise angeschafft werden muss.
4. Das Jobcenter kann nicht mit Erfolg einwenden, es wäre zur Minderung der Leistungen nach§ 22 SGB II regelmäßig zweckdienlich und angemessen, absichtlich einen Monat lang umzuziehen und hierfür doppelt Miete zu zahlen, anstatt die doppelte Mietzahlung für die alte und die neue Wohnung zu vermeiden und innerhalb weniger Tage zum Monatswechsel umzuziehen.
5. Das Jobcenter kann nicht mit Erfolg einwenden, es wäre zur Minderung der Leistungen für Umzugskosten nach§ 22 Abs. 6 SGB II zweckdienlich und angemessen, sich bei der Beförderung von Umzugsgut von einem rechtsanwaltlichen Prozessbevollmächtigten unter die Arme greifen zu lassen.
6. Die Angemessenheit von Umzugskosten nach§ 22 Abs. 6 SGB II bemisst sich nicht nach dem im Einzelfall missgünstigen Sozialneid öffentlich Bediensteter.
Tenor
1. Der Bescheid 29. August 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09. September 2022 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte zahlt der Klägerin 2.200,- €.
3. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Umzugskosten im Wege eines Zuschusses.
Die 1980 geborene, nach eigenen Angaben schwer depressive Klägerin ist Mutter zweier Kinder, die im Jahr 2003 bzw. 2005 geboren worden sind und laut Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkasse seit 2021 und mindestens bis einschließlich 2022 jeweils pflegebedürftig waren mit einem Pflegegrad von 2 bzw. 3. Den drei in einer von der Klägerin angemieteten und in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen stand als Einkommen seit Jahren nur das Kindergeld für die beiden Kinder zur Verfügung, weshalb der Beklagte ihnen fortlaufend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährte. Diese Leistungen waren ihnen zuletzt bewilligt worden mit Bescheid vom 07.07.2022 ab August 2022 für zwölf Monate. Dabei waren für Kosten der Unterkunft und Heizung der Stadt Karlsruhe monatliche Ausgaben der Bedarfsgemeinschaft in Höhe von 1.014,01 € als anspruchsbegründend berücksichtigt worden. Zudem hatte der Beklagte bei der Leistungsberechnung Regelbedarfsleistungen für die drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sowie einen Mehrbedarf für Alleinerziehende der Klägerin in einer Gesamthöhe von 1.238,88 € anspruchsbegründend berücksichtigt.
Im Juli 2022 kündigte die Klägerin ihre bisherige Mietwohnung zum 01.10.2022 und mietete eine neue Wohnung in Ettlingen mit Gesamtunterkunfts- und Heizkosten in Höhe von nur noch 887,90 € monatlich an. Wegen der Kosten für Unterkunft und Heizung der neuen Unterkunft in Ettlingen beantragte die Klägerin die Zusicherung der Übernahme beim nach dem Umzug örtlich zuständigen Jobcenter desjenigen Landkreises, in dem sich Ettlingen befindet. Wegen der Übernahme der Kosten für einen Umzug von Karlsruhe nach Ettlingen beantragte die Klägerin am 04.07.2022 einen Zuschuss beim Beklagten als bislang örtlich zuständigen Leistungsträger. Der Beklagte bat die Klägerin am 05.07.2022, den Umzugsgrund mitzuteilen. Zudem forderte er die Klägerin auf, die Umzugskosten gering zu halten und gab ihr auf, hierzu drei Kostenvoranschläge von Umzugsunternehmen einzuholen.
Am 07.07.2022 antwortete die Klägerin hierauf, der Grund für den Umzug bestehe darin, dass sie zwei pflegebedürftige Kinder mit Pflegegrad 2 bzw. 3 habe und selbst unter schweren Depressionen leide, weshalb sie familiäre Unterstützung benötige. Da ihre Familie in Ettlingen wohne, könne die Familie mit ihrer Unterstützung leider nicht flexibel sein, solange sie selbst in der „Nordstadt“ Karlsruhes wohne.
Am 07.07.2022 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass er den Umzug als erforderlich ansehe, da die Klägerin aufgrund ihrer pflegebedürftigen Kinder in die Nähe ihrer Familie umziehen möchte.
Am 08.07.2022 holte die Klägerin drei Kostenvoranschläge von Umzugsunternehmen ein, welche jeweils kalkulierten, wie teuer es wäre, am 01.10.2...