Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Einkommenseinsatz. Absetzung von Beiträgen für eine private Versicherung. Angemessenheit einer Sterbegeldversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Prävalenz bestimmter privater Versicherungsformen stellt keinen verlässlichen Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage dar, ob es sich bei ihr generell um eine dem Grunde nach angemessene private Versicherung im Sinne des § 82 Abs 2 S 1 Nr 3 SGB XII handelt.
2. Ein pauschaler Verweis auf nicht näher benannte "Praktikabilitätsgründe" rechtfertigt keine Abweichung der Rechtsprechung vom kodifizierten Willen des Gesetzgebers.
3. Der Gesetzgeber hat den Schutzbereich des verfassungskräftigen Erbrechts aus Art 14 Abs 1 GG in § 74 SGB XII und § 33 Abs 2 SGB XII dahingehend bestimmt, dass auch mittellose Sozialhilfeempfänger*innen ihre Testierfreiheit ausüben und ihre ggfs nicht minder mittellosen Erb*innen deren Erbschaft annehmen können sollen, ohne sich hierfür eigens verschulden zu müssen.
4. Eine Unangemessenheit der Beiträge für eine Sterbegeldversicherung folgt nicht allein aus dem Umstand, dass in dem denkbaren Fall eines Todes erst nach dem Erreichen der Höchstbeitragszeit eine wesentlich niedrigere Versicherungssumme ausgezahlt würde, als in diesem Eventualverlauf insgesamt zuvor an Beiträgen eingezahlt worden sein würde.
Tenor
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheides vom 18.01.2018 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 16.10.2018 dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin in gesetzlicher Höhe Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII ab 01.12.2016 bis 30.06.2018 unter leistungserhöhender Absetzung ihrer Aufwendungen für Beiträge zur Sterbegeldversicherung von monatlich 53,68 € zu gewähren.
Der Beklagte hat dem Grunde nach die außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist strittig, ob die Klägerin im Rahmen der Berechnung der Höhe der Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII die Absetzung ihrer Beiträge zu ihrer Sterbegeldversicherung von ihrem Altersrenteneinkommen beanspruchen kann.
Die am ... 1940 geborene Klägerin bezieht eine Altersrente von der Deutschen Rentenversicherung Baden-Württemberg und beantragte im März 2013 zunächst keine Sozialhilfe, da sie sich hierfür geschämt hätte, weil sie noch über Erlöse aus der Veräußerung ihres vormaligen Immobilienvermögens verfügte und auch, da eine ihrer beiden Töchter sie sodann noch finanziell unterstützen konnte durch die Übernahme von Rechnungen bzw. Überbrückungsdarlehen.
Am 01.09.2015 schloss die Klägerin eine private Sterbeversicherung mit einer lebenslangen Laufzeit ab. Der Vertrag sah für ihren Todesfall die Auszahlung einer Versicherungssumme von 4.000,00 €, eine Beitragszahlungsdauer von maximal zehn Jahren, einen Versicherungsbeitrag von monatlich 53,68 € bzw. eine maximale Gesamtbeitragslast von 6.441,60 € vor.
Die Klägerin verbrauchte ihr Vermögen. Als dieses nicht mehr ausreichte und ihre Tochter sie auch nicht länger finanziell unterstützen konnte, beantragte sie am 11.10.2016 beim Beklagten Sozialhilfe. Er bewilligte ihr diese mit Bescheid vom 18.01.2018 in der Gestalt seines Widerspruchsbescheides vom 16.10.2018 für den Zeitraum vom 01.12.2016 bis 30.06.2018 in der Form der Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII. Bei der Berechnung der Leistungshöhe berücksichtigte der Beklagte die einschlägigen Regelbedarfsregelsätze, die jeweils anzuwendenden Bedarfssätze für eine - im Fall der Klägerin medizinisch gebotene - kostenaufwändige Ernährung sowie eines Unterkunftsbedarfes in Höhe von 240,00 € monatlich. Auf diese Bedarfe rechnete der Beklagte leistungsminderndes Einkommen der Klägerin aus ihrer Altersrente in der jeweiligen Zahlungshöhe an. Von dem Renteneinkommen setzte er wiederum ihre Aufwendungen für ihre Haftpflichtversicherung, für ihre Hausratversicherung und für ihre Beiträge an den Sozialverband VdK ab.
Zugleich verneinte der Beklagte die (weitere) Absetzbarkeit (auch) der o. g. Beiträge der Klägerin für ihre Sterbeversicherung. Der Beklagte meinte, dabei handele es sich um nicht angemessene Beiträge zu einer privaten Versicherung. Die Fortführung der Sterbegeldversicherung sei unwirtschaftlich. Ihre restlichen Beitragsschulden seien wesentlich niedriger als die vereinbarte Versicherungssumme. Zwischen dem Beginn der Gewährung der Sozialhilfe bis zum Ablauf der zehnjährigen Beitragszahlungsdauer summierten sich die von der Klägerin noch zu entrichtenden Versicherungsbeiträge auf insgesamt 5.636,40 €. Diesem Betrag stehe aber nur eine Versicherungssumme von 4.000,00 € gegenüber.
Hiergegen richtet sich der am 07.11.2018 zum Sozialgericht Karlsruhe angebrachte Rechtsbehelf der Klägerin. Zu dessen Begründung hat sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft: Angemessen sei die Sterbege...