Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Feststellung des GdB bei Kindern. Autismus. Versorgungsmedizinische Grundsätze. Zeitpunkt der Manifestierung der Krankheit. Beginn der Teilhabebeeinträchtigung. Nachteilsausgleich. Hilflosigkeit
Leitsatz (amtlich)
Zur Feststellung des GdB und des Nachteilsausgleichs "H" bei Kindern wegen einer Autismus-Erkrankung und zum Zeitpunkt des Beginns der Teilhabebeeinträchtigung.
Orientierungssatz
Die Regelung in Nr 3.5 des Teils B der in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (juris: VersMedV) geregelten Versorgungsmedizinischen Grundsätze ist dahingehend auszulegen, dass auch bei angeborenen Störungen wie einem Asperger-Syndrom der Grad der Behinderung (GdB) nicht automatisch ab der Geburt bzw ab einem bestimmten Lebensalter festzustellen ist. Maßgebend ist vielmehr, ab welchem Zeitpunkt die die Autismus-Erkrankung manifest geworden, dh die Erkrankung tatsächlich in Erscheinung getreten ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten - noch um die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) im Sinne des Sozialgesetzbuches - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) und um die Feststellung des Nachteilsausgleichs “H„ (Hilfslosigkeit) für die Zeit ab der Geburt des Klägers bis zum 31.10.2008. Soweit zunächst auch die Feststellung der Nachteilsausgleiche “G„ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr - erhebliche Gehbehinderung -) und “B„ (Notwendigkeit ständiger Begleitung) ab Geburt sowie die Höhe des GdB über den 31.10.2008 hinaus im Streit standen, hat der Kläger diese Begehren in der mündlichen Verhandlung am 15.02.2013 nicht mehr aufrecht erhalten.
Der am 10.06.1994 geborene Kläger erhält vom Jugendamt der Stadt K. seit dem Jahr 2009 Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe - (SGB VIII) u.a. in Form einer Schulbegleitung. Er stellte am 01.08.2011 beim Landratsamt K. (LRA) den Antrag, eine Autismus-Erkrankung als Behinderung anzuerkennen und deren Grad festzusetzen. Hierzu trug er vor, er leide seit Geburt an dieser Gesundheitsstörung. Zur Stützung seines Antragsbegehrens legte er ein Attest des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. Ke. vor, der den Kläger seit dem 18.11.2008 wegen eines Asperger-Syndroms behandelt, außerdem den Hilfeplan der Stadt K. als Träger der Jugendhilfe vom April 2010 sowie eine ärztliche Stellungnahme zur Planung von Eingliederungshilfe nach dem Kinder- und Jugendhilferecht des Dr. Ke. vom März 2009. Danach bestanden eine unauffällige Schwangerschaft und Geburt sowie motorische Entwicklung und Sauberkeit bei verzögerter sprachlicher Entwicklung mit logopädischer Betreuung für drei Jahre und Ausgrenzung und Hänseleien des Klägers im Kindergarten infolge der Entwicklungsverzögerung. Das LRA zog über die Stadt K. die Behandlungsunterlagen des Psychologischen Psychotherapeuten Se., Praxis Autismus, vom August 2009 und März 2010 bei, holte einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. F., der den Kläger seit September 2008 hausärztlich betreut, und eine Auskunft des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. Ki. ein. Dieser fügte einen eigenen Arztbrief vom Juli 2005 bei. Gestützt auf die versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. Fe. setzte das LRA den GdB für die Zeit ab dem 01.01.1998 bis zum 31.10.2008 auf 40 und seither auf 60 fest. Außerdem anerkannte es beim Kläger den Nachteilsausgleich “H„ ab dem 01.11.2008. Als Funktionsbeeinträchtigungen berücksichtigte es:
- Autismus, Verhaltensstörungen
(Bescheid vom 26.10.2011).
Mit seinem dagegen erhobenen Widerspruch begehrte der Kläger über seine Mutter die Feststellung eines GdB von wenigstens 70 sowie die Zuerkennung der Nachteilsausgleiche “G„, “B„ und “H„ seit Geburt. Zur Begründung trug er vor, seine behandelnden Ärzte hätten seine Autismus-Erkrankung fälschlicherweise erst am 01.11.2008 diagnostiziert. Bereits im Jahr 1998 habe er sich auf Anraten des Kindergartens in der Frühförderstelle K. erstmals wegen erheblicher sozialer Probleme vorgestellt. Seinerzeit habe er den Eindruck vermittelt, in einer eigenen Welt zu leben. Soweit hierüber keine Unterlagen mehr vorhanden seien, könne dies nicht zu seinem Nachteil gereichen. Dr. Ki. habe im Jahr 2005 fälschlich lediglich die Diagnose eines Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (ADHS) gestellt. Auch dies sei nicht sein Verschulden. Für sämtliche Freizeitaktivitäten benötige er eine Begleitung, da er sich aufgrund von Orientierungsproblemen im Straßenverkehr schlecht zurecht finde. Ohne Begleitung verlaufe er sich häufig oder wisse nicht, an welcher Haltestelle er aussteigen müsse. Wegen seiner Wahrnehmungsprobleme sei er auch nicht in der Lage, kritische Situationen in der Interaktion mit Menschen richtig einzuschätzen. Bei seiner Autismus-Erkrankung handele es sich um eine angeborene, genetisch bedingte Hirnschädigung. Er habe deshalb Anspruch au...