Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft. Leistungsversagung bei Verweigerung eines unangemeldeten Hausbesuchs ohne wichtigen Grund. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Wird ein berechtigter unangemeldeter Hausbesuch verweigert, kann die Behörde ohne weitere Ermittlungen von dem für den Antragsteller ungünstigsten Ergebnis ausgehen. Die mit einem unangemeldeten Hausbesuch einhergehende "Überrumpelung" stellt keinen Grund dar, ihn zu verweigern, sondern ist gerade dessen Zweck.
Orientierungssatz
Das Gericht hat keine grundsätzlichen Bedenken wegen der durch Art 13 Abs 1 GG gewährleisteten Unverletzlichkeit der Wohnung. Es liegt kein Grundrechtseingriff vor, da die Duldung des Hausbesuchs nicht erzwingbar ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der 1971 geborene Kläger, der bereits früher bei der Beklagten im Leistungsbezug nach dem SGB II gestanden hatte, beantragte am 01.07.2008 (unter Hinweis, bis 08.07.2008 Schüler zu sein) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Er lebt seit 2001 mit Frau R. in einer Wohnung. Bei Antragstellung erklärte er, nicht bereit zu sein, in irgendeiner Weise für seine Mitbewohnerin einzustehen. Dies treffe umgekehrt auch für sie zu. Sie führten ein unabhängiges Leben ohne gemeinsame Konten oder gegenseitige Vollmachten.
Nachdem der Kläger am 25.07.2008 einen Hausbesuch durch die Beklagte verweigert hatte, lehnte diese den Antrag mit Bescheid vom selben Tag ab, da die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen sei.
Der Kläger legte Widerspruch ein, den er damit begründete, dass er sich nur aus Kostengründen eine Wohnung teile; er und seine Mitbewohnerin seien kein “eheähnliches Paar„. Es sei nie angesprochen worden, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht feststellbar seien. Er widerspreche dem Vorwurf, die Wohnungsbesichtigung verweigert zu haben, da ein schriftlich begründeter Verdacht auf Leistungsmissbrauch nicht vorgelegen habe. Gegen einen vereinbarten Termin habe er nichts einzuwenden, einer unangekündigten Wohnungsbesichtigung habe er ohne schriftliche Einwilligung seiner Mitbewohnerin nicht zustimmen können. Der Kläger legte ein Schreiben von Frau R. vom 15.08.2008 vor, dass sie beide nicht in einer eheähnlichen Gemeinschaft lebten. Sie sei nicht bereit, für den Kläger finanziell einzustehen.
Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 25.08.2008 zurückgewiesen. Die Frage der wirtschaftlichen Bedürftigkeit sei klärungsbedürftig gewesen. Lasse sich der Sachverhalt in einem für die Entscheidung erheblichen Punkt nicht aufklären, habe der Hilfesuchende den Nachteil zu tragen und sei die Leistung abzulehnen. Der Kläger lebe seit sieben Jahren mit Frau R. in einer Wohnung. Die Dauer des Zusammenlebens stelle ein Indiz für eine eheähnliche Gemeinschaft dar, die Klärung der realen Verhältnisse hätte im Zuge eines unangemeldeten und auf die vom Kläger selbst bewohnten Räumlichkeiten beschränkten Hausbesuchs erfolgen können. Ein unangemeldeter Hausbesuch ermögliche in besonderer Weise realitätsnahe und durch keine etwaigen “Vorsorgemaßnahmen„ beeinflusste Feststellungen hinsichtlich der Wohn- und Wirtschaftsverhältnisse. Er sei jedoch trotz Zumutbarkeit vom Kläger abgelehnt worden. Verweigere aber ein Hilfesuchender ohne triftige Gründe den Zutritt zu seiner Wohnung, seien die Anspruchsvoraussetzungen nicht nachgewiesen, der “Vereitelungsvorgang„ stelle einen leistungsrechtlichen Versagungsgrund dar.
Der Kläger hat am 18.09.2008 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Neben einem Verweis auf die Widerspruchsbegründung durch ihn selbst hat sein - nach Durchführung eines Erörterungstermins eingeschalteter - Prozessbevollmächtigter Ausführungen zum Umfang der Vermutung des § 7 Abs. 3a SGB II und den Anforderungen an einen Gegenbeweis sowie geltend gemacht, dass keine über eine bloße Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehende Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft vorliege. Die Unverletzlichkeit der Wohnung sei ein hohes Gut. Hausbesuche müssten nur bei hier nicht vorliegenden berechtigten Zweifeln an den Angaben des Betroffenen gestattet werden. Die Beklagte habe durch mildere Mittel, z.B. nach §§ 60 ff. SGB I vorgehen können.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 25.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.08.2008 zu verurteilen, ihm Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ohne Anrechnung des Einkommens von Frau R. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung wiederholt sie im Wesentlichen ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
Zum 28.07.2008 meldete sich der Kläger vom Leistungsbezug ab, da er ab diesem Tag wieder in Arbeit stehe.
Das Gericht hat am 15.07.2009 (durch den Vorgänger des gegenwärtigen Kammervorsitzenden) einen Erörterungstermin durchgeführt...