Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallbegriff. psychische Belastung. Arbeitsschicht. Häufung von Einwirkungen über längeren Zeitraum

 

Leitsatz (amtlich)

Eine schädigende Einwirkung im Sinne des Unfallbegriffs in der gesetzlichen Unfallversicherung kann auch in einer durch betriebliche Umstände bedingten psychischen Einwirkung liegen. Auch insoweit ist aber erforderlich, dass die Einwirkung innerhalb eines relativ kurzen, begrenzten Zeitraums, d.h. innerhalb einer Arbeitsschicht, erfolgt.

Bei einer Häufung von Einwirkungen, die nicht auf eine Arbeitsschicht begrenzt sind und die erst in ihrer Summierung einen Gesundheitserstschaden bewirkt haben, ist ein Arbeitsunfall zu verneinen.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung eines Ereignisses vom 19.03.2009 als Arbeitsunfall umstritten.

Der am 19.03.1959 geborene Kläger war ab dem 01.10.1989 bis zum Beginn des Bezugs von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung bei der Straßenbauverwaltung des Landes Baden-Württemberg beschäftigt. Zunächst war er dort als Straßenunterhaltungsarbeiter im Außendienst tätig. Zu einem späteren Zeitpunkt war er neben dieser Tätigkeit, und ab dem 15.10.2001 ausschließlich, als Verwaltungsangestellter mit Verwaltungsaufgaben im Innendienst betraut, seit dem 01.10.2004 bei der Autobahnmeisterei X. Nachdem der Arbeitgeber ab etwa Mitte des Jahres 2008 mehrfach zahlreiche und schwerwiegende Fehler bei der Durchführung der Tätigkeit des Klägers festgestellt hatte, ordnete er - den Angaben des Klägers zu Folge am 19.03.2009 - dessen Umsetzung als Straßenwärter im Außendienst ab dem 01.04.2009 mit folgenden Aufgaben an: Beifahrer auf der Kehrmaschine, Parkplatz- und Streckendienst, Leitpfostenwartung und Reinigung, Beschilderungsarbeiten. Die vom Kläger deswegen zum Arbeitsgericht K. (ArbG) erhobene Klage mit dem (Haupt-)Ziel, ihn zu unveränderten Bedingungen entsprechend der bisherigen Ausgestaltung des Arbeitsplatzes mit den Aufgaben eines Verwaltungsangestellten zu beschäftigen, blieb erfolglos (Urteil vom 12.02.2010 - 3 Ca 178/09 -). Die deswegen erhobene Berufung des Klägers wies das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) zurück (Urteil vom 16.12.2010 - 16 Sa 37/10 -).

Am 21.08.2013 stellte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage zahlreicher Arztunterlagen (u.a. Entlassungsbericht der S.-Klinik Bad B., sozialmedizinisches Gutachtens von Dr. Br. und Arztbrief des Neurologen R.) den Antrag, ein Ereignis vom 19.03.2009 als Arbeitsunfall anzuerkennen: Er leide an einer dissoziativen Bewegungsstörung des rechten Schultergelenks mit Bewegungseinschränkung. Diese Gesundheitsstörung sei Folge erheblicher psychischer Belastungen aufgrund eines Personalgesprächs am 19.03.2009. Ergänzend legte der Kläger das Urteil des LAG vor. Die Beklagte lehnte die Anerkennung des Ereignisses vom “20.„03.2009 als Versicherungsfall in der gesetzlichen Unfallversicherung mit der Begründung ab, nach dem Urteil des LAG hätten sich die Schwierigkeiten aufgrund des Arbeitsverhältnisses des Klägers, die im März 2009 in seiner Versetzung vom Innen- in den Streckendienst gemündet hätten, über einen Zeitraum von rund elf Monaten hinweg entwickelt. Vor dem als Unfallereignis angeschuldigten Gespräch hätten bereits mehrere Personalgespräche mit dem Kläger stattgefunden. Dabei habe ihn sein Arbeitgeber wiederholt auf Missstände in seiner Arbeitsweise hingewiesen und ihm auch zweimal die Versetzung angedroht. Deshalb sei die vom Arbeitgeber zuletzt ausgesprochene Versetzung in den Außendienst kein plötzliches und unerwartetes Ereignis und deshalb kein Arbeitsunfall. Auch die Gesamtheit mehrerer belastender Einwirkungen über einen längeren Zeitraum stelle keinen Arbeitsunfall im Rechtssinne dar. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Bescheid vom 18.09.2013).

Zur Begründung seines dagegen erhobenen Widerspruchs trug der Kläger im Wesentlichen vor, die Feststellung eines Arbeitsunfalls erfordere keine äußerliche Verletzung in Form einer körperlichen, organischen Schädigung. Ausreichend sei eine psychische Gesundheitsstörung infolge betrieblicher Einflüsse. Er habe an seinem Arbeitsplatz als Verwaltungsangestellter keine Probleme gehabt und von seinem Arbeitgeber bis März 2009 weder mündliche noch schriftliche Abmahnungen erhalten. Am 19.03.2009 habe ihn der Dienststellenleiter der Autobahnmeisterei aufgefordert, mit ihm zusammen zu einem Personalgespräch in das Hauptgebäude des früheren Arbeitgebers zu fahren. Er habe wegen seines Geburtstags an diesem Tag mit einer Beförderung gerechnet. Tatsächlich und für ihn völlig überraschend habe ihm der Personalchef dann in grober Weise schlechte Leistungen am Arbeitsplatz vorgeworfen und ihm seine sofortige Versetzung aus der Tätigkeit als Verwaltungsangestellter zu der körperlich schweren Tätigkeit als Streckenwärter mitgeteilt....

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