Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschussfähigkeit der schweizerischen obligatorischen Krankenpflegeversicherung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der Schweiz wohnhafte Rentenbezieher haben gemäß § 106 SGB 6 Anspruch auf einen Zuschuss zu den Aufwendungen der Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.

2. Der Rentenversicherungsträger war verpflichtet, in der Schweiz wohnhafte Rentenbezieher auf die mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens am 1.6.2002 erweiterten Möglichkeiten eines Beitragszuschusses hinzuweisen.

 

Orientierungssatz

Auch dann, wenn aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Leistung rückwirkend verlangt werden kann, gilt in entsprechender Anwendung des § 44 Abs 4 SGB 10 eine Ausschlussfrist von vier Jahren zum Beginn des Kalenderjahres (vgl BSG vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R = BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9). Dies folgt daraus, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht eines Leistungsträgers, hier einer Hinweispflicht, mit für den Leistungsträger nachteiligen Rechtsfolgen belegt, nicht weiter reichen kann als der Anspruch nach § 44 Abs 1 SGB 10 als Rechtsfolge der Verletzung einer Hauptpflicht.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.05.2014; Aktenzeichen B 5 RE 6/14 R)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 28.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.02.2010 verurteilt, dem Kläger ab 01.01.2005 einen Zuschuss zu dessen Aufwendungen für die Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Kosten seiner obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu zahlen und die jeweiligen monatlichen Zahlungsansprüche beginnend ab 01.03.2005 mit vier vom Hundert zu verzinsen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Beitragszuschusses zu den seit 01.01.2001 angefallenen Aufwendungen des Klägers für die Krankenversicherung nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).

Der in der Schweiz wohnhafte Kläger bezieht seit dem 01.01.2001 eine Regelaltersrente (Bescheid der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg vom 31.01.2001). Im Antragsformular machte er keine Angaben zu seiner Krankenversicherung und verneinte die Frage nach der Beantragung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung.

Mit Bescheiden vom 09.12.2009 und vom 10.02.2010 stellte die Beklagte die bewilligte Rente unter Berücksichtigung der im Verhältnis zur Schweiz seit dem 01.06.2002 geltenden europarechtlichen Vorschriften rückwirkend ab 01.01.2005 neu fest. Mit Schreiben vom 05.02.2010 führte die Beklagte hierzu aus, zum Zeitpunkt der Rentenbewilligung im Jahr 2001 sei die zum Juni 2002 erfolgende Einführung des europäischen Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zur Schweiz bereits bekannt gewesen und ein Hinweis auf einen Antrag auf Neufeststellung der noch auf Grundlage des Deutsch-Schweizerischen Sozialversicherungsabkommens festgestellten Rente versehentlich unterblieben. Dies sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu korrigieren.

Am 17.08.2009 beantragte der Kläger rückwirkend seit Rentenbeginn am 01.01.2001 einen Beitragszuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung sowie eine Verzinsung der Nachzahlungsbeträge mit vier vom Hundert. Er legte hierzu Versicherungspolicen der ... Versicherungen vor, aus denen sich monatliche Prämien zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung sowie ergänzenden Zusatzversicherungen ergaben.

Mit Bescheid vom 28.08.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Beitragszuschuss mit der Begründung ab, wegen der bestehenden schweizerischen gesetzlichen Krankenversicherungspflicht sei ein Anspruch auf Beitragszuschuss ausgeschlossen. Dies gelte auch für freiwillige private Zusatzversicherungen.

Hiergegen wandte sich der Kläger mit Widerspruch vom 05.10.2009 und machte geltend, seit Inkrafttreten des europäischen Gemeinschaftsrechts im Verhältnis zur Schweiz habe er jedenfalls bis zu einer am 01.05.2007 eingetretenen Gesetzesänderung Anspruch auf Beitragszuschuss gehabt und hätte einen solchen auch beantragt, wäre er von Beklagten insoweit hinreichend informiert worden. Dieser Beratungsmangel sei im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu korrigieren, so dass ihm rückwirkend und aufgrund der Besitzstandsregel gemäß § 315 Abs. 4 SGB VI auch fortlaufend ein Beitragszuschuss zustehe.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.02.2010 zurück. Zur Begründung führte sie aus, die über den Deckungsumfang des schweizerisches Krankenversicherungsobligatoriums hinausgehenden Zusatzversicherungen seien in der Zeit vom 01.06.2002 bis zum 30.04.2007 zwar grundsätzlich zuschussfähig gewesen. Einen entsprechenden Antrag habe der Kläger jedoch nicht gestellt, ohne dass sie insoweit Auskunfts- und Beratungspflichten verletzt habe. Der Kläger...

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