Entscheidungsstichwort (Thema)

Zuschussfähigkeit der schweizerischen obligatorischen Krankenpflegeversicherung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch

 

Leitsatz (amtlich)

1. In der Schweiz wohnhafte Rentenbezieher haben gem § 106 SGB 6 Anspruch auf einen Zuschuss zu den Aufwendungen der Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.

2. Der Rentenversicherungsträger war verpflichtet, in der Schweiz wohnhafte Rentenbezieher auf die mit Inkrafttreten des Freizügigkeitsabkommens am 1.6.2002 erweiterten Möglichkeiten eines Beitragszuschusses hinzuweisen.

 

Orientierungssatz

Auch dann, wenn aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs eine Leistung rückwirkend verlangt werden kann, gilt in entsprechender Anwendung des § 44 Abs 4 SGB 10 eine Ausschlussfrist von vier Jahren zum Beginn des Kalenderjahres (vgl BSG vom 27.3.2007 - B 13 R 58/06 R = BSGE 98, 162 = SozR 4-1300 § 44 Nr 9). Dies folgt daraus, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch, der die Verletzung einer Nebenpflicht eines Leistungsträgers, hier einer Hinweispflicht, mit für den Leistungsträger nachteiligen Rechtsfolgen belegt, nicht weiter reichen kann als der Anspruch nach § 44 Abs 1 SGB 10 als Rechtsfolge der Verletzung einer Hauptpflicht.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 25.05.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2009 verurteilt, an die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns für die Zeit vom 01.01.2005 bis zum 31.12.2010 einen Zuschuss zu dessen Aufwendungen für die Krankenversicherung unter Berücksichtigung der Kosten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zu zahlen und die jeweiligen monatlichen Zahlungsansprüche beginnend ab 01.03.2005 mit vier vom Hundert zu verzinsen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Beklagte hat ein Drittel der außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Bewilligung eines Beitragszuschusses zu den in der Zeit vom 01.08.1992 bis zum 31.12.2010 angefallenen Aufwendungen für die Krankenversicherung des verstorbenen Ehemannes der Klägerin nach dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).

Der am 17.12.2010 verstorbene und bis dahin in der Schweiz wohnhafte Ehemann der Klägerin bezog seit dem 01.08.1992 eine Regelaltersrente (Bescheid der Landesversicherungsanstalt Baden vom 21.04.1993). Im Antragsformular machte er keine Angaben zu seiner Krankenversicherung und ließ die Frage nach der Beantragung eines Zuschusses zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung unbeantwortet.

Am 25.04.2009 beantragte der verstorbene Ehemann der Klägerin rückwirkend seit Rentenbeginn am 01.08.1992 einen Beitragszuschuss zu den Aufwendungen für die Krankenversicherung sowie eine Verzinsung der Nachzahlungsbeträge mit vier vom Hundert. Er legte hierzu Versicherungspolicen der ... Krankenversicherung vor, aus denen sich monatliche Prämien zur obligatorischen Krankenpflegeversicherung sowie ergänzenden Zusatzversicherungen ergaben.

Mit Bescheid vom 25.05.2009 lehnte die Beklagte den Antrag auf Beitragszuschuss mit der Begründung ab, wegen der bestehenden schweizerischen gesetzlichen Krankenversicherungspflicht sei ein Anspruch auf Beitragszuschuss ausgeschlossen. Dies gelte auch für freiwillige private Zusatzversicherungen.

Hiergegen wandte sich der verstorbene Ehemann der Klägerin mit Widerspruch vom 03.08.2009 und machte geltend, die obligatorische Krankenpflegeversicherung sei in der Schweiz erst zum 01.01.1996 eingeführt worden. Hätte die Beklagte ihm bei Rentenantragstellung entsprechend beraten, wäre zum Rentenbeginn auch ein Beitragszuschuss beantragt und bewilligt worden. Im Übrigen unterliege der Anspruch auf Beitragszuschuss den Exportgebot nach dem inzwischen auch im Verhältnis zur Schweiz geltenden europäischen Recht. Er habe daher jedenfalls bis zu einer am 01.05.2007 eingetretenen Gesetzesänderung unabhängig vom Bestehen einer Pflichtversicherung nach dem Recht des Wohnsitzes Anspruch auf Beitragszuschuss gehabt. Aufgrund der in § 315 Abs. 4 SGB VI geregelten Besitzstandsregelung sei dieser auch weiterhin zu zahlen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.10.2009 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der verstorbene Ehemann der Klägerin habe allenfalls ab dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der EWG-Verordnung über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer Nrn. 1408/71 und 574/72 auch im Verhältnis zur Schweiz ab 01.06.2002 Anspruch auf einen Zuschuss zu solchen Krankenversicherungen gehabt, die über den Umfang des Krankenversicherung obligatorisch ums hinausgingen. Einen entsprechenden Antrag habe er jedoch nicht gestellt, ohne dass sie insoweit Beratungspflichten verletzt habe. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheide insoweit aus. Nach § 106 Absatz 1 Satz 2 SGB VI in seit dem 01.05.2007 geltenden Fassung sei der Beitragszuschuss inzwischen ausgeschlossen, da die obligatorische Kranken Pflegeversicherung nach s...

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