Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Darlehenstilgung durch Aufrechnung. Rechtmäßigkeit der Aufrechnungserklärung. gebundene Entscheidung. keine Begrenzung des ggf zehnjährigen Aufrechnungszeitraums. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
Verfassungsmäßige Bedenken im Hinblick auf die auferlegte Tilgung eines gewährten Darlehens durch Aufrechnungserklärung gemäß § 42a Abs 2 SGB 2 unter Berücksichtigung eines voraussichtlich zehnjährigen Aufrechnungszeitraums bestehen nicht.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Aufrechnung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II für die Klägerin i.H.v. 10 % des monatlichen Regelbedarfes zur Rückzahlung von erbrachten Mehrbedarfsleistungen für Körperpflegeprodukte als Darlehen.
Die seit Januar 2005 im Leistungsbezug von Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II stehende, im Jahre 1962 geborene alleinstehende Klägerin erhielt von der Beklagten in Umsetzung eines Beschlusses über den Erlass einer einstweiligen Anordnung des Sozialgerichts Kassel vom 29. Juli 2014 (S 10 AS 134/14 ER) ein Darlehen für einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung in Höhe von monatlich 36,00 € sowie für Körperpflegeprodukte in Höhe von monatlich 120,00 € ab dem 24. Juni 2014. Auch in den folgenden Bewilligungszeiträumen erbrachte der Beklagte die Mehrbedarfe als Darlehen unter dem Vorbehalt einer abschließenden Entscheidung im sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren (Darlehensbescheide des Beklagten über 120,00 € monatlich für Körperpflegeprodukte vom 19. Januar 2015 für die Zeit vom 1. Januar 2015 bis 30. Juni 2015, vom 30. Juni 2015 für Zeit vom 1. Juni 2015 bis 31. Dezember 2015, vom 19. Januar 2016 für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis 30. Juni 2016, vom 27. Juni 2016 für die Zeit vom 1. Juli 2016 bis 31. Dezember 2016, vom 21. Dezember 2016 für die Zeit vom 1. Januar 2017 bis 30. Juni 2017 sowie Bescheid vom 1. August 2017 für die Zeit vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2018.
Nach Beweiserhebung und Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens im Rechtsstreit S 10 AS 389/12 wies das Sozialgericht Kassel mit Urteilen vom 17. November 20717 die über Mehrbedarfe anhängige Klagen zu den Aktenzeichen S 10 AS 389/12 und S 10 AS 547/14 als unbegründet ab. Einen Anspruch auf Mehrbedarf nach der Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II für Körperpflegeprodukte lehnte das Gericht ab. Die Urteile sind rechtskräftig.
Nach Anhörung vom 21. November 2018 nahm der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 24. Januar 2018 sowohl die Bewilligung von Mehrbedarfen für kostenaufwändige Ernährung und für Körperpflegeprodukte ab 1. Februar 2018 im vollem Umfang zurück. Den hiergegen erhobene Widerspruch der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2018 zurück, wogegen die Klägerin keine Klage erhob, so dass der Bescheid in Bestandskraft erwuchs (§ 77 Sozialgerichtsgesetz, SGG). Mit Zahlungsaufforderung vom 27. Februar 2018 schlüsselte der Beklagte seine Forderung in Höhe von insgesamt 5.160,00 € aus den genannten Darlehensbescheiden wie folgt auf: Bescheide vom 5. August 2014, 19. Januar 2015, 30. Juni 2015, 19. Januar 2016, 27. Juni 2016 und 21. Dezember 2016 mit Beträgen von jeweils 720,00 € und Bescheid vom 1. August 2017 mit einem Gesamtbetrag von 840,00 €. Nach Anhörung der Klägerin mit Schreiben vom 27. Februar 2018 zu einer beabsichtigten Aufrechnung der Forderungen legte der Beklagte mit Bescheid vom 21.März 2018 fest, dass die fällige Forderung aus den Darlehen (Gesamtdarlehenssumme von 5.160,00 €) ab dem 1. Mai 2018 in monatlichen Raten von 41,60 € gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet werde.
Den Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. August 2018 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Rückzahlung von Darlehen nach dem SGB II sei in § 42 a Abs. 2 SGB II gesetzlich geregelt. Solange Darlehensnehmer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bezögen, würden Rückzahlungsansprüche aus Darlehen gemäß § 42 a Abs. 2 S. 1 SGB II ab dem Monat, der auf die Auszahlung folge, durch monatliche Aufrechnung i.H.v. 10 % des maßgebenden Regelbedarfes getilgt, was den Darlehensnehmern gegenüber schriftlich gemäß § 42 a Abs. 2 S. 3 SGB II durch Verwaltungsakt zu erklären sei (Aufrechnung). Ein Entschließungsermessen, ob überhaupt aufgerechnet werde, bestünde im Rahmen der Vorschrift des § 42 a Abs. 2 S. 1 SGB II nicht. Der nach § 20 SGB II maßgebliche Regelbedarf belaufe sich für die Klägerin zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides auf monatlich 416,00 €, was zu einem monatlichen Aufrechnungsbetrag i.H.v. 41,60 € führe. Nachdem die anhängigen sozialgerichtlichen Verfahren zur Klärung der Frage, ob die Klägerin Anspruch auf einen Mehrbedarf für Körperpflegeprodukte habe, abgeschlossen worden seien und ein solcher Bedarf nicht festgestellt worden sei, seien die ihr gewährten Darlehen fällig zu ...