Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Anspruchsdauer. Spontanberatungspflicht der Bundesanstalt für Arbeit. Verschiebung der Wirksamkeit eines Arbeitslosengeldantrages. Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bundesanstalt für Arbeit hat bei Vorliegen eines konkreten Anlasses auf klar zu Tage tretende Gestaltungsmöglichkeiten hinzuweisen, deren Wahrnehmung offensichtlich so zweckmäßig ist, dass sie ein verständiger Versicherter mutmaßlich nutzen würde (in Anschluss an BSG, Urteil vom 5.8.1999, B 7 AL 38/98 R = SozR 3-4100 § 110 Nr 2).
2. Der Leistungsempfänger ist daher bei Vorliegen entsprechender Umstände auch auf die Möglichkeit hinzuweisen, durch eine spätere Arbeitslosmeldung eine längere Anspruchsdauer auf Arbeitslosengeld (Alg) gem § 127 Abs 2 SGB 3 zu erzielen. Dieser Hinweis ist erst recht zu erteilen, wenn der Leistungsanspruch sowieso durch eine Sperrzeit ruht und eine spätere, aber vor Ablauf der Sperrzeit erfolgte Arbeitslosmeldung keine Auswirkung auf den Beginn der Leistung hat.
3. Die Wirksamkeit eines bereits gestellten Antrags auf Alg kann im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Tatbestand
Streitgegenstand ist die Dauer des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg).
Der Kläger ist ... 1943 geboren. Versicherungspflichtig war er zuletzt seit 1993 bei der ... als Bankkaufmann beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag vom 6.12.1999 zum 31.12.1999 beendet. Der Aufhebungsvertrag enthält unter anderem folgende Vereinbarung:
Sozialversicherung
Der Mitarbeiter erklärt, dass er von der Bank umfassend über mögliche nachteilige sozialversicherungsrechtliche Folgen informiert worden ist und im Rahmen dieses Vertragsabschlusses eine ausreichende Überlegungsfrist eingeräumt wurde. In diesem Zusammenhang bestand Gelegenheit, sich auch bei den zuständigen Trägern der Sozialversicherung zu informieren.
Die für den Kläger maßgebende Kündigungsfrist betrug 6 Monate zum Ende des Vierteljahres.
Am 4.1.2000 meldete sich der Kläger arbeitslos. Er bestätigte unterschriftlich, das Merkblatt 1 für Arbeitslose "Dienste und Dienstleistungen" erhalten und von dessen Inhalt Kenntnis genommen zu haben.
Mit Bescheid vom 10.2.2000 stellte die Beklagte eine zwölfwöchige Sperrzeit vom 1.1.2000 bis 24.3.2000 fest, da das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag gelöst und der Kläger zu diesem Zeitpunkt keine konkrete Aussicht auf einen Anschlussarbeitsplatz gehabt habe. Er habe deshalb seine Arbeitslosigkeit zu verantworten. Während der Sperrzeit ruhe der Anspruch auf Alg. Außerdem mindere sich der Anspruch auf Alg um ein Viertel der Anspruchsdauer (195 Tage).
Mit Bescheid vom 14.3.2000 gewährt die Beklagte Alg ab 25.3.2000 für 585 Tage aus einem wöchentlichen Bemessungsentgelt von 1.960,00 DM in Höhe von 717,36 DM wöchentlich.
Hiergegen hat der Kläger am 24.3.2000 Widerspruch eingelegt: Bei der Arbeitslosmeldung sei klar gewesen, dass eine Sperrzeit eintrete, die über den 57. Geburtstag hinaus gehe. Bei einer entsprechenden Beratung hätte er die Antragstellung auf den 57. Geburtstag am 27.2.2000 verlegt. Damit habe er eine erheblich höhere Anspruchsdauer erzielen können.
Die Beklagte hat den Widerspruch am 11.4.2000 als unbegründet zurückgewiesen: Die Dauer des Anspruchs auf Alg sei zutreffend mit 585 Tagen festgestellt. Das Arbeitsamt habe sich keinen Beratungsfehler zu Schulden kommen lassen. Der Sozialleistungsträger sei nicht verpflichtet, den Antragsteller von Amts wegen zu beraten. Der Kläger habe anlässlich seiner Arbeitslosmeldung auch kein konkretes Beratungsanliegen bezüglich "Lebensalter/Anspruchsdauer" kundgetan, so dass auch keine fehlerhafte Beratung erfolgt sei.
Hiergegen richtet sich die am 18.4.2000 bei Gericht eingegangene Klage.
Zur Begründung führt der Kläger aus: Bei einer Antragstellung nach Vollendung des 57. Lebensjahres hätte ihm unter Berücksichtigung der Sperrzeit Alg für 720 Tage -- ohne Sperrzeit für 960 Tage -- zugestanden. Die Differenz zu dem Bewilligungsbescheid vom 14.3.2000 umfasse mithin 135 Tage. Bei einem täglichen Zahlbetrag in Höhe von 102,48 DM ergebe sich damit ein Verlust von 13.834,80 DM. Außerdem müsse er durch die verkürzte Alg-Gewährung früher in Rente gehen. Er sei deshalb mit einem Rentenabschlag von 4,8% konfrontiert. Bei einem Alg-Bezug von 720 Tagen hätte der Abschlag lediglich 3,3% betragen. Hieraus errechne sich eine jährliche Rentenminderung in Höhe von 482,76 DM. Bei einem 57-jährigen könne nicht davon ausgegangen werden, dass er nochmals eine Arbeitsstelle finde. Die Beklagte habe ihn deshalb darauf hingewiesen, dass er mit 58 Jahren eine Vereinbarung über den Alg-Bezug unter erleichterten Voraussetzungen treffen könne. Für die Beklagte sei es bei der Antragstellung offensichtlich gewesen, dass für ihn eine Antragstellung nach Vollendung des 57. Lebensjahres erheblich günstiger gewesen wäre. Sie habe ihn entsprechend beraten müssen. Dies um so mehr, als der Eintritt einer Sperrzei...