Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Heranziehung zum Kostenersatz. Festsetzung einer Sperrzeit. keine Bindung des Sozialhilfeträgers
Orientierungssatz
1. Die Heranziehung zum Kostenersatz nach § 92a BSHG setzt objektiv voraus, dass das Verhalten, durch das die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe herbeigeführt worden sind, "sozialwidrig" ist. Schuldhaft (vorsätzlich oder grob fahrlässig) verhält sich nur, wer sich der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst (oder grob fahrlässig nicht bewusst) ist (vgl BVerwG vom 24.6.1976 - V C 41.74 = BVerwGE 51, 61).
2. Die Festsetzung einer Sperrzeit durch die Arbeitsverwaltung bindet den Sozialhilfeträger bei seiner Entscheidung nach § 92a BSHG nicht (vgl VGH München vom 24.8.2000 - 12 B 95.2620).
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe.
Die im Jahre 1963 geborene Klägerin war vom 01.01.1992 bis 31.05.1992 bei D. beschäftigt und verwaltete das dortige Gestüt. Seinerzeit lebte sie mit ihrer 1987 geborenen Tochter dort.
Seit 13.05.1992 war sie nach einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber beim Arbeitsamt L. arbeitslos gemeldet.
Am 05.06.1992 beantragte sie Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Sozialhilfe wurde ab 01.06.1992 gewährt.
Mit Bescheid des Arbeitsamtes L. vom 26.02.1993 wurde gegen die Klägerin eine Sperrzeit von 12 Wochen vom 01.06. bis 23.08.1992 verhängt. Dieser Umstand wurde dem Beklagten ausweislich eines Aktenvermerks am 03.03.1993 bekannt.
Mit Bescheid vom 27.11.1993 forderte der Beklagte Sozialhilfeleistungen gemäß §§ 92a, 25a BSHG in Höhe von 2.847,44 DM zurück. Der Klägerin wurde Ratenzahlung in Höhe von 70,00 DM monatlich begrenzt auf 2 Jahre eingeräumt.
Mit Schreiben vom 22.12.1993 legte die Klägerin Widerspruch ein. Zur Begründung wird angemerkt, dass sie gegen die Sperrzeit vorgehen werde und darum bitte, die Entscheidung über den Widerspruch zurückzustellen.
Am 11.08.1994 erfolgte ein Überprüfungsantrag bei der Arbeitsverwaltung bezüglich der Sperrzeitentscheidung vom 26.02.1993. Dieser Antrag wurde mit Bescheid vom 17.08.1994 durch das Arbeitsamt L. bestandskräftig abgelehnt. Über diesen Sachverhalt wurde der Beklagte durch eine Auskunft des Arbeitsamtes L. vom 22.05.1997 in Kenntnis gesetzt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12.06.2007 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 27.11.1993 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 10.07.2007 bei dem Sozialgericht Wiesbaden eingegangene Klage, welche mit Beschluss vom 31.07.2007 an das Sozialgericht Koblenz verwiesen worden ist.
Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass sie ihre Arbeit seinerzeit nicht schuldhaft verloren habe. Ihr Arbeitgeber habe damals von ihr verlangt, dass sie eine Stalltür zumauere und ein Starkstromkabel durch eine Scheune verlege. Auf ihren Hinweis, dass sie hierfür nicht eingestellt worden sei und hierfür auch nicht kompetent sei, habe er ihr fristlos gekündigt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 27.11.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er steht auf dem Standpunkt, dass der bestandskräftige Bescheid des Arbeitsamtes über die Sperrzeitverhängung "Tatbestandswirkung" entfalte. Eine weitere Prüfung und Begründung sei daher durch den Sozialhilfeträger nicht erforderlich gewesen.
Die Klägerin hat zur Unterstützung ihrer Argumentation ein Schreiben an das Arbeitsamt L. vom 29.11.1993 mit einer Darstellung des Sachverhalts zur Akte gereicht.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen sowie wegen der weiteren Einzelheiten der Sachdarstellung wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig und begründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 27.11.1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2007, mit dem der Beklagte die Klägerin gemäß § 92a BSHG zum Kostenersatz in Höhe von 2.847,44 DM herangezogen hat, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Die Voraussetzungen des § 92a BSHG für einen Kostenersatzanspruch liegen nicht vor. Gemäß § 92a Abs. 1 Satz 1 BSHG ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe an sich selbst oder an seine unterhaltsberechtigten Angehörigen durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 24.06.1976 - C 41.74 -, BVerwGE 51, 61) löst nicht jedes Verhalten, dass eine den Träger der Sozialhilfe zum Eingreifen veranlassende Notlage zur Folge hat, die Ersatzpflicht nach § 92a BSHG aus. Das Tun oder Unterlassen muss vielmehr einem Unwerturteil unterworfen werden können, es muss als rechtswidrig ...