Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe für einen Ausländer bei dessen nachweisbarer Einreise zur Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen

 

Orientierungssatz

1. Ausländer erhalten nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB 12 keine Leistungen der Sozialhilfe, wenn sie in der Absicht eingereist sind, um diese zu erlangen. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe muss ein prägendes Motiv für die Einreise gewesen sein. Zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe muss ein finaler Zusammenhang bestehen. Eine billigende Inkaufnahme oder ein fahrlässiges Verhalten reichen nicht aus. Macht eine verwitwete Antragstellerin geltend, sie sei aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen, ihr Leben im Ausland zu bewältigen und sei deshalb zu ihren Kindern nach Deutschland gezogen, so ist ein Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB 12 zu verneinen.

2. Unterhaltsgewährung i. S. von § 3 Abs. 2 Nr. 2 FreizügG liegt vor, wenn dem Verwandten tatsächlich Leistungen zukommen, die vom Ansatz her als Mittel der Bestreitung des Lebensunterhalts angesehen werden können. Wohnt der Antragsteller kostenfrei bei seinen Kindern und werden von diesen ausreichende Unterhaltsleistungen erbracht, so kann aus einer solchen Situation ein Freizügigkeitsrecht nicht nicht abgeleitet werden.

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, der Antragstellerin ab Antragstellung bis Ende Dezember 2019 vorläufig nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 12. Teil - SGB XII - in Höhe des Regelbedarfs abzüglich 120,00 Euro monatlich sowie Hilfe bei Krankheit zu gewähren.

Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin zu 3/4.

 

Gründe

Der Antrag, mit dem die Antragstellerin nach dem schriftsätzlich formulierten Antrag sinngemäß begehrt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr einstweilen Leistungen nach dem SGB XII einschließlich Krankenversicherungsschutz nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren, hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, das heißt des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, das heißt die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund), die Eilbedürftigkeit, sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -). Die Glaubhaftmachung bezieht sich auf die reduzierte Prüfungsdich-te und die nur eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erfordernde Überzeugungsgewissheit für die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes im summarischen Verfahren (vergl. LSG NRW, Beschluss vom 04.03.2005, Az. L B 2/05 SO ER m. w. N.). Die Entscheidung des Gerichts darf schließlich grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen (vergl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 12. Auflage, Rn. 31 zu § 86b). Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden, bei der auch die grundrechtlichen Belange des Antragstellers angemessen zu berücksichtigen sind (vergl. LSG NRW, Beschluss vom 08.02.2006, L 20 B 70/05 SO ER).

Die vorzunehmende Folgenabwägung führt nach Auffassung der Kammer dazu, dass der Antragstellerin einstweilige Leistungen in dem tenorierten Umfang zu gewähren sind. Im Rahmen der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung kann nicht hinreichend sicher davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin eingereist ist, um Sozialhilfe zu erlangen. Ein Leistungsausschluss ergibt sich nach Auffassung der Kammer daher vorliegend nicht bereits aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 4 SGB XII. Die im Jahre 1952 geborene Antragstellerin, die italienische Staatsange-hörige ist, hält sich seit März 2019 in Deutschland auf. Zwar hat ihr Sohn nach Aktenlage bereits kurz nach der Einreise bei der Antragsgegnerin angefragt, ob für die Antragstellerin Leistungsansprüche nach dem SGB XII bestehen. Andererseits muss die Inanspruchnahme von Sozialhilfe ein prägendes Motiv für die Einreise gewesen sein. Zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe muss ein finaler Zusammenhang bestehen. Eine ...

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