Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen der Zulässigkeit einer füt einen Minderjährigen erhobenen Klage bei gemeinsamem Sorgerecht getrennt lebender Eltern - Zulässigkeit einer Untätigkeitsklage
Orientierungssatz
1. Bei gemeinsamem Sorgerecht getrennt lebender Eltern besteht kein Alleinvertretungsrecht des umgangsberechtigten Elternteils (LSG Essen, Urteil vom 28. 5. 2019, L 16 KR 10/19 L).
2. Im Übrigen ist eine Untätigkeitsklage gemäß § 88 Abs. 1 SGG unzulässig, wenn der Kläger die hierzu erforderliche Antragstellung bei der beklagten Behörde nicht nachweisen kann.
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Bescheidung von Anträgen im Rahmen einer Untätigkeitsklage.
Die 2011 geborene Klägerin ist bei der Beklagten über ihren Vater AB familienversichert.
Sie hatte mit Schreiben vom 13.9.2018 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für ein "Kompetenzgutachten" für genetische Krankheiten und zur Abklärung der Ursachen für einen Unfall vom 7.4.2017 beantragt. Diesen Antrag hatte die Beklagte mit Bescheid vom 21.9.2018 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21.11.2018 abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage hatte das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 28.12.2018 (-S 23 KR 3548/18-) abgewiesen. Gegen den Gerichtsbescheid erhob die Klägerin Berufung, die vor dem Landessozialgericht NRW unter dem Aktenzeichen -L 16 KR 10/19- anhängig ist.
Die Klägerin hat am 4.6.2019 Untätigkeitsklage erhoben mit dem Vortrag, sie habe bereits im Jahr 2013 einen Antrag auf Kostenübernahme für eine Arzneimittelversorgung mit Leukonom und auf Einholung eines Generalgutachtens gestellt. Über diese Anträge habe die Beklagte bis heute nicht entschieden.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte gemäß § 88 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG- zu verpflichten, ihren Antrag aus dem Jahr 2013 zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor, für die Klägerin sei ein Antrag auf Kostenübernahme einer Arzneimittelversorgung mit Leukonom weder aus dem Jahr 2013 noch aus Folgejahren bekannt. Lediglich der Vater der Klägerin - AB - habe sich bezüglich seiner Arzneimittelversorgung an sie gewandt. Auch sei kein die Klägerin betreffender Antrag auf Einholung eines Generalgutachtens aus 2013 bekannt. Erstmals am 13.9.2018 habe der Vater für die Klägerin einen Antrag auf Kostenübernahme eines Kompetenzgutachtens gestellt, über den mit Bescheid vom 21.9.2018 entschieden worden sei. Mangels weitergehender Spezifizierung des hier vorliegenden Streitgegenstandes sei davon auszugehen, dass es sich bei dem "Generalgutachten" und dem "Kompetenzgutachten" um ein identisches Begehren handele. Eine Untätigkeit sei damit nicht nachvollziehbar. Die Klage sei zudem unzulässig, weil der das Verfahren betreibende Vater der Klägerin das elterliche Sorgerecht für die Klägerin derzeit nur gemeinsam mit der Mutter Frau B-E ausüben könne. Eine Zustimmung der Mutter zu dem Verfahren liege offensichtlich nicht vor und ein Alleinvertretungsrecht des Vaters bestehe nicht.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht konnte den Rechtsstreit ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Die Beteiligten sind mit Schreiben vom 11.7.2019 angehört worden.
Die Untätigkeitsklage ist unzulässig.
1)
Die Klage für die minderjährige Klägerin ist ohne gesetzliche Vertretung erhoben worden.
Der das Verfahren als Vertreter betreibende Vater kann das elterliche Sorgerecht für die minderjährige Klägerin ausweislich des Schreibens des Amtes für Kinder, Jugend und Familie der Stadt L vom 8.2.2019 derzeit nur gemeinsam mit der Mutter , Frau B-E ausüben. Bei gemeinsamem Sorgerecht getrennt lebender Eltern besteht kein Alleinvertretungsrecht des umgangsberechtigten Elternteils (LSG NRW Beschluss vom 28.5.2019 -L 16 KR 10/19/ L 16 KR 11/19 B-; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, § 71 Rdn. 7 mwN). Die Eltern vertreten das Kind grundsätzlich gemeinschaftlich (§ 1629 Abs. 1 Satz 2 1. Halbsatz Bürgerliches Gesetzbuch -BGB-) Sie sind also nur gemeinsam vertretungsberechtigt; auch aus § 73 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGG oder § 1687 Abs. 1 BGB (Getrenntleben) folgt nichts anderes (jurisPK-SGG, § 71 Rdn. 22). Eine Zustimmungserklärung der sorgeberechtigten Mutter für die vorliegende Klage hat der Vater der Klägerin auch nach Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 11.7.2019 nicht vorgelegt; ebenso keine Bevollmächtigung zur Klageerhebung.
2)
Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf...