Entscheidungsstichwort (Thema)
Schutz des Ausländers im Schwerbehindertenrecht
Orientierungssatz
1. Der Schutz des Schwerbehindertenrechts nach dem SGB 9 setzt u. a. voraus, dass der Antragsteller seinen ständigen Aufenthalt rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB 9 hat.
2. Für die Annahme eines rechtmäßigen Aufenthalts gemäß § 2 Abs. 2 SGB 9 ist es ausreichend, wenn die betreffende Person in der Bundesrepublik geduldet ist, sich bereits seit drei Jahren in der Bundesrepublik aufhält und wenn auf absehbare Zeit nicht mit ihrer Abschiebung zu rechnen ist.
3. Eine enge Auslegung des § 2 Abs. 2 SGB 9 mit dem Ziel, Ausländer für einen unvertretbar langen Zeitraum von dem Schutz des Schwerbehindertenrechts auszuschließen, ist mit dem Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. GG nicht vereinbar.
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2008 verurteilt, bei dem Kläger ab Antragstellung einen Grad der Behinderung von 40 festzustellen.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 3/5.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50.
Der 1946 geborene Kläger stellte im Juli 2008 bei dem Beklagten erstmals einen Antrag auf Feststellung einer Schwerbehinderung. Der Kläger ist irakischer Staatsangehöriger und verfügt über keine Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland. Er lebt seit 1997 mit seiner Familie in Deutschland. Der Kläger legte einen Entlassungsbericht des Herzzentrums der Universitätskliniken Köln vor. Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21.07.2008 die Feststellung eines GdB ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die Voraussetzungen des § 2 Abs. 2 Sozialgesetzbuch 9. Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) lägen im Falle des Klägers nicht vor, da dieser in der Bundesrepublik Deutschland lediglich geduldet sei und somit hier nicht rechtmäßig seinen Wohnsitz habe.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, den die Bezirksregierung Münster mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2008 als sachlich unbegründet zurückwies.
Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger trägt vor, er leide unter einer arteriosklerotischen Herzkrankheit, Diabetes mellitus, Adipositas und Hypertonie und sei hierdurch in seiner Teilhabe am Leben in der Gesellschaft erheblich beeinträchtigt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2008 zu verurteilen, bei ihm ab Antragstellung einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass unabhängig vom gesundheitlichen Zustand des Klägers die Feststellung eines GdB nicht in Betracht komme, da der Kläger in Deutschland nur geduldet sei und sich somit nicht rechtmäßig im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX in Deutschland aufhalte. Der Beklagte verweist insoweit auf eine Verfügung der Bezirksregierung Münster aus dem Jahre 2007, nach welcher ein rechtmäßiger gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland nicht angenommen werden könne, wenn die betroffene Person in Deutschland lediglich geduldet sei. Der Beklagte verweist im übrigen darauf, dass er in seiner Funktion als Ausländerbehörde mit Ordnungsverfügung vom 26.10.2009 den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis abgelehnt hat.
Das Gericht hat die Ausländerakte des Klägers sowie einen Befundbericht des behandelnden Internisten Dr. L. beigezogen. Das Gericht hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. T. sowie eines internistischen Gutachtens bei Dr. K ... Auf die schriftlichen Sachverständigengutachten vom 14.05.2009 und 24.05.2009 wird verwiesen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte, welche zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und sachlich teilweise begründet.
Der Kläger ist durch den Bescheid des Beklagten vom 21.07.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Münster vom 27.10.2008 beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), soweit der Beklagte es abgelehnt hat, bei dem Kläger einen GdB von 40 festzustellen. Einen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB hat der Kläger demgegenüber nicht.
Zunächst gehört der Kläger zu dem nach dem SGB IX geschützten und berechtigten Personenkreis. Nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung fest, wenn der behinderte Mensch insoweit einen Antrag stellt. Der Kläger ist ein behinderter Mensch im vorgenannten Sinne. Der Feststellung eines GdB bei dem Kläger steht insbesondere nicht die Vorschrift des § 2 Abs. 2 SGB IX entgegen, wo...