Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialverwaltungsrecht: Zulässigkeit der Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs aus Zahlungen aufgrund eines Pfändunqs- und Überweisungsbeschlusses durch Verwaltungsakt

 

Orientierungssatz

Hat eine Sozialbehörde aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses an den Gläubiger eines Sozialleistungsempfängers (hier: Pfändung von Witwenrente) Zahlungen geleistet, so kann die Behörde selbst dann, wenn eine Überzahlung eingetreten ist, den Rückzahlungsanspruch gegenüber dem Gläubiger nicht durch Verwaltungsakt geltend machen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 24.07.2001; Aktenzeichen B 4 RA 102/00 R)

 

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 13.07.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.1995 wird aufgehoben. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers. -2-

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Rückforderungsbescheides der Beklagten. Der Kläger erwirkte gegen die bei der Beklagten versicherte Frau L E einen Pfändunqs- und Überweisungsbeschluß des Amtsgerichts Köln vom 07.02.1991 über einen pfändbaren Gesamtbetrag von DM 45.759,26, mit dem unter anderem die Ansprüche von Frau E gegen die Beklagte aus der Witwenrente nach ihrem verstorbenen Ehemann gepfändet wurden. Aufgrund des Überweisungsbeschlusses führte die Beklagte ab dem 01.03.1991 monatlich Beträge an den Kläger ab. Im Januar 1994 stellte sie fest, daß in der Zeit vom 01.06.1993 bis zum 31.12.1993 eine Übertilgung eingetreten war, die sie mit DM 11.333,50 beziffert. Mit Bescheid vom 13.07.1994 - zugestellt am 21.07.1994 - forderte sie den Kläger zur Rückzahlung dieses Betrages auf. Den hiergegen gerichteten Widerspruch vom 22.08.1994 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 07.03.1995 zurück.

Der Kläger hat am 13.04.1995 Klage erhoben und trägt vor: Die Beklagte dürfe ihre Rückforderungsansprüche nicht im Wege des Verwaltungsaktes geltend machen. Allenfalls könne sie - da es sich um Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung handele - den Zivilrechtsweg beschreiten. Hilfsweise erklärt der Kläger die Aufrechnung mit weiteren titulierten Forderungen gegen Frau E.

Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 13.07.1994 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.1995 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor: Durch die Pfändung und Überweisung der Rentenforderung sei der Kläger in die Rechtsstellung von Frau E eingetreten. Dies ergebe sich aus § 836 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO). Hierdurch sei eine öffentlich-rechtliche Beziehung entstanden, die das Vorgehen im Wege des Verwaltungsaktes rechtfertige. Eine Aufrechnung sei ausgeschlossen, weil zahlreiche vorrangige Pfändungen bzw. Verrechnungsersuchen vorlägen. Die Rentenakten von Frau L E geb. T und Herrn I E sind beigezogen worden und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist nach § 51 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eröffnet. Es handelt sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung. Denn der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, durch den diese eine Rentenüberzahlung zurückfordert. Insoweit kommt es weder darauf an, ob die dem Bescheid zugrundeliegende Forderung tatsächlich öffentlich-rechtlicher Art oder ob sie dem Sozialversicherungsrecht zuzuordnen ist. Bei dieser Frage handelt es sich um eine qualifizierte Prozeßvoraussetzungen, die erst bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu untersuchen ist. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten muß aus Gründen effektiven Rechtsschutzes demgegenüber bereits dann eröffnet sein, wenn ein Sozialversicherungsträger sich einer dem Sozialversicherungsrecht zuzuordnenden Forderung berühmt und diese im Wege des Verwaltungsaktes geltend macht.

Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Beklagte durfte ihre Rückforderung gegen ihn nicht im Wege des Verwaltungsaktes durchsetzen. Hierfür fehlte es nämlich an der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.

Das Erfordernis einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für den Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes ergibt sich aus dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, der seinerseits aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 3 des Grundgesetzes - GG) abzuleiten ist. Danach bedürfen belastende Verwaltungsakte grundsätzlich einer ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung, die sowohl die mit dem Bescheid inhaltlich geltend gemachte Forderung decken als auch die Befugnis beinhalten muß, diese Forderung im Wege des Verwaltungsaktes geltend zu machen. Eine solche Ermächtigungsgrundlage besteht im vorliegenden Fall nicht.

Sie ergibt sich zunächst nicht aus § 50 Abs. 1 des Zehnten Sozialgesetzbuchs (SGB X). Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung eines Sozialversicherungsträgers, aufgrund eines Pfändungs- und Ü...

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