Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziales Entschädigungsrecht: Gewährung von Leistungen zur Opferentschädigung. Beobachtenmüssen eines Suizids als entschädigungsrelevante Handlung. Bestimmung des Grades der Schädigung bei Gesichtsverletzungen

 

Orientierungssatz

1. Das Beobachtenmüssen eines Suizids stellt keine entschädigungsfähige Handlung im Sinne des Opferentschädigungsrechts dar, da der miterlebte Suizid keine Gewalthandlung gegenüber einem Dritten darstellt. Für gesundheitliche Schäden aus dieser miterlebten Situation kommen deshalb Entschädigungsansprüche nicht in Betracht.

2. Einzelfall zur Bestimmung des Grades der Schädigung bei Gesichtsverletzungen infolge einer Gewalttat (hier: GdS von ≪25 für eine Trigeminusneuralgie als Folge von Knochenbrüchen im Gesicht).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 26.01.2021; Aktenzeichen B 9 V 26/20 B)

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013 verurteilt, 1. festzustellen, dass die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen Trigeminusneuralgie im Sinne eines Gesichtsschmerzes rechts und Knochennarben nach Bruch des Nasenbeines und der Kieferhöhlenwand rechts Schädigungsfolgen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne von § 1 Abs. 1 OEG sind. 2. der Klägerin wegen der unter Ziffer 1.) festgestellten Schädigungsfolgen Heilbehandlung ab dem 01.02.2013 zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu 20%.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt Versorgung nach den Vorschriften des Gesetzes über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) in Verbindung mit den Vorschriften des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz - BVG). Sie wendet sich gegen den Bescheid vom 14.05.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2013.

Die 1961 geborene Klägerin wurde am 12.01.2010 von ihrem zweiten Ehemann S H körperlich misshandelt. Anschließend beging der Ehemann Selbstmord, indem er sich in den Kopf schoss. Nach den Angaben der Klägerin sah sie den Suizid mit an.

Mit ihrem am 08.02.2013 bei dem Beklagten eigegangenen Antrag machte die Klägerin Beschädigtenversorgung für Opfer von Gewalttaten geltend. Sie führte sinngemäß aus, am 12.01.2010 Opfer schwerer Körperverletzung durch S H geworden zu sein, der anschließend Selbstmord begangen habe. Eine Woche zuvor habe sie eine Fehlgeburt durch Schläge mit einem Gewehrkolben erlitten. Als maßgebliche Gesundheitsstörungen benannte die Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung und Depressionen insbesondere einhergehend mit Panikattacken, Dissoziation, Gedächtnis- und Konzentrationsminderung, Alpträumen und vegetativer Übererregbarkeit. Vor dem Antrag war der Befundbericht der Traumaambulanz der LVR-Klinik Bonn vom 30.01.2013 zu den Akten gelangt. Als Therapieanlass benannte der Befundbericht neben den Geschehnissen vom 12.01.2010 auch mehrfache sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen der Klägerin durch ihren ersten Ehemann.

Der Beklagte zog insbesondere die Akten der Staatsanwaltschaft Bonn - 910 UJs 64/10 A - über das Todesermittlungsverfahren betreffend S H bei. Auf den Polizeibericht vom 13.01.2010 wird verwiesen. Verwiesen wird ferner auf die von dem Beklagten durchgeführten medizinischen Ermittlungen. Sie ergaben, dass die Klägerin am 12.01.2010 Brüche des Nasenbeins sowie der Kieferhöhlenwand rechts erlitten hatte. Mit Schreiben vom 24.04.2013 teilte der Beklagte der Klägerin mit, dass der Suizid des Ehemannes keine entschädigungsfähige Tat im Sinne des OEG darstelle. Entschädigungsfähig seien lediglich die vor dem Suizid ihr gegenüber verübten Gewalttaten. Ferner wies er darauf hin, dass Ausschlussgründe für einen Entschädigungsanspruch in Betracht kämen. Mit Schreiben vom 02.05.2013, auf dessen Inhalt im Einzelnen Bezug genommen wird, hielt die Klägerin an ihrem Begehren fest.

Mit Bescheid vom 14.05.2013 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Er führte aus, zwar handele es sich bei den am 12.01.2010 durch S H erlittenen Schlägen im Gegensatz zum anschließenden Suizid um eine Gewalttat im Sinne des OEG. Eine Entschädigung sei jedoch unbillig im Sinne von § 2 OEG. Die Klägerin habe der Polizei gegenüber angegeben, in den vergangenen zwei Jahren mehrfach von ihrem Ehemann geschlagen worden zu sein, gleichwohl sei sie bei ihm geblieben. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 04.06.2013 Widerspruch ein, den sie mit anwaltlichem Schreiben vom 07.08.2013 unter abermaliger Schilderung der Geschehnisse und unter Verweis auf den Abschlussbericht der LVR-Kliniken vom 01.08.2013 weiter begründete. Per Widerspruchsbescheid vom 24.10.2013 wies der Beklagte den Widerspruch unter Wiederholung seines bereits dem Ausgangsbescheid zugrundeliegenden Standpunktes als unbegründet zurück.

Am 21.11.2013 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

Im Laufe des gerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte die Auffas...

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