Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung von Beitragszuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung. Eintritt von Versicherungspflicht in der KVdR. § 255 Abs 2 S 1 SGB 5 geht als lex specialis den allgemeinen Aufhebungs- und Erstattungsvorschriften des SGB 10 vor. rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung. atypischer Fall. Mitverschulden eines anderen Sozialversicherungsträgers an der rechtswidrigen Leistungsgewährung. Ermessensausübung. Ermessensunterschreitung
Leitsatz (amtlich)
1. § 255 Abs 2 S 1 SGB V geht als lex specialis den allgemeinen Aufhebungs- und Erstattungsvorschriften des SGB X vor, wobei dieser Grundsatz in der Vorbehaltsregelung des § 37 SGB I kodifiziert ist.
2. Ein atypischer Fall, der die Ausübung von Ermessen erforderlich macht, kann nicht nur dann vorliegen, wenn die Beklagte ein Mitverschulden an der rechtswidrigen Leistungsgewährung trifft, sondern auch dann, wenn ein Mitverschulden eines anderen Sozialversicherungsträgers vorliegt.
Orientierungssatz
Unabhängig von der Frage, wie die Ermessensentscheidung ausfällt, darf die Behörde die für den Betroffenen günstigen Erwägungen im Rahmen ihrer Ermessensausübung nicht außer Acht lassen.
Tenor
Der Bescheid vom 23.08.2017 und der Widerspruchsbescheid vom 03.05.2018 werden insoweit aufgehoben, als für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 Beitragszuschüsse zur Krankenversicherung in Höhe von 13.337,81 € und zur Pflegeversicherung in Höhe von 210,72 € zurückgefordert werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger 2/3 seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zur erstatten.
Tatbestand
Der am ...1936 geborene Kläger wendet sich einerseits gegen die Rückforderung von Zuschüssen zur Kranken- und Pflegeversicherung für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis zum 31.01.2017 sowie andererseits gegen die Aufrechnung der im Zeitraum vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 nicht einbehaltenen Kranken -und Pflegeversicherungsbeiträge mit der Rente.
Mit den Bescheiden vom 17.06.1998 wurden dem Kläger aufgrund der freiwilligen Mitgliedschaft bei der BKK M. ein Beitragszuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung zu seiner Rente gewährt. Dabei hatte der Kläger die freiwilligen Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung selbst an die BKK M. zu entrichten. Unter der Rubrik Mitteilungspflichten und Hinweise wurde der Kläger darüber informiert, dass eine gesetzliche Verpflichtung bestünde, jede Änderung des Kranken- und Pflegversicherungsverhältnisses unverzüglich mitzuteilen. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss u. a. bei Eintritt der Krankenversicherungspflicht entfalle. Zudem wurde er darüber informiert, dass der Beitragszuschuss für die Pflegeversicherung bei Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung sowie bei Eintritt einer Beitragsfreiheit in der Pflegeversicherung entfalle. Auch wurde er darauf hingewiesen, dass die überzahlten Beträge zurückgefordert werden würden, wenn der Mitteilungspflicht nicht genügt werden sollte.
Mit Schreiben vom 09.04.2002 hatte die BKK M. den Kläger darauf hingewiesen, dass seine freiwillige Versicherung mit dem 31.03.2002 ende und er ab dem 01.04.2002 als Rentner pflichtversichert sei. Alle Arbeiten, die diese Umstellung mit sich bringen würde, hätte die BKK M. bereits für ihn erledigt. Unter Ziffer 1 des Schreibens wurde ausgeführt, dass der Rentenversicherungsträger informiert worden sei.
Unter dem 16.11.2016 hatte die BKK M. der Beklagten mitgeteilt, dass bei der Durchsicht der Unterlagen festgestellt wurde, dass unter anderem bei dem Kläger ein Beitragszuschuss gewährt werde, obwohl dieser in der Krankenversicherung der Rentner (im Folgenden: KVdR) seit dem 01.04.2002 pflichtversichert ist.
Mit Rentenbescheid vom 10.01.2017 berechnete die Beklagte daraufhin die Rente des Klägers ab dem 01.04.2002 neu und gewährte dem Kläger ab dem 01.02.2017 monatlich 1.214,31 €. Für die Zeit vom 01.4.2002 bis zum 31.01.2017 ergäbe sich eine Überzahlung von 19.453,62 €. Mit Schreiben vom 10.01.2017 wurde der Kläger hinsichtlich der Einbehaltung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen und dem überzahlten Beitragszuschuss nach § 24 SGB X angehört.
Mit Bescheid vom 23.08.2017 wurde der Bescheid vom 17.06.1998 über die Bewilligung eines Beitragszuschusses mit Wirkung zum 01.04.2002 nach § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2-4 SGB X aufgehoben und die sich für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 ergebende Überzahlung des Beitragszuschusses i. H. v. 13.548,53 € gemäß § 50 SGB X zurückgefordert. Mit weiterem Bescheid vom 23.08.2017 wurde die Aufrechnung der für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.01.2017 nicht einbehaltenen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge i. H. v. 5.905,09 € erklärt.
Gegen die Bescheide vom 23.08.2017 legte die Bevollmächtigte des Klägers Widerspruch ein. Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die BKK M. dem Kläger mitgeteilt habe, dass ihn betreffenden Datensätze an die Beklagte übermittelt worden seien. Ferner habe der Kläger a...