Entscheidungsstichwort (Thema)

Rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Beitragszuschusses aus der gesetzlichen Rentenversicherung zur Kranken- und Pflegeversicherung. Eintritt der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner und Ende der freiwilligen Mitgliedschaft. Mitteilungspflicht des Rentenbeziehers. grobe Fahrlässigkeit. Sorgfaltspflichtverletzung. atypische Fallgestaltung. Mitverschulden von beteiligten Behörden

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein atypischer Fall ist zu verneinen, wenn der Leistungsempfänger vorsätzlich gegen seine Mitteilungspflichten (hier: Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung) verstoßen hat.

2. Eine fehlerhafte Datensatzübermittlung durch die Krankenkasse ist dem Rentenversicherungsträger nicht zuzurechnen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer sog Funktionseinheit.

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 07.11.2019 teilweise, unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen, aufgehoben und der Tenor wie folgt neu gefasst:

Der Bescheid der Beklagten vom 23.08.2017 (betreffend Beitragszuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung) in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.05.2018 wird hinsichtlich der Aufhebung des Bescheids vom 17.06.1998 (betreffend Zuschuss zur Krankenversicherung) für den Monat April 2002 und hinsichtlich der Aufhebung des Bescheids vom 17.06.1998 (betreffend Zuschuss zur Pflegeversicherung) für den Zeitraum vom 01.04.2002 bis 31.03.2004 sowie hinsichtlich eines Erstattungsbetrags von 278,86 € aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten (nur noch) über die Aufhebung der Bewilligung von Zuschüssen zur gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (SPV) für die Zeit vom 01.04.2002 bis 31.01.2017 und die Erstattung überzahlter Zuschüsse.

Der 1936 geborene Kläger war bis Ende März 1997 bei der Fa. T1 (M1) F1 als Mechaniker beschäftigt. Im Anschluss daran war er arbeitslos und bezog von Mitte Juli 1997 bis Ende März 1998 Arbeitslosengeld. Wegen der weiteren Einzelheiten der rentenrechtlichen Versicherungszeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 03.04.1998 (Anlage 2 des Rentenbescheids vom 03.04.1998) Bezug genommen.

Seit Anfang der 1990er Jahre war der Kläger bei der BKK M1 in der GKV freiwillig versichert. Mitte Dezember 1997 beantragte er bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Landesversicherungsanstalt Württemberg (zukünftig einheitlich nur Beklagte), Altersente und mit von ihm unterschriebenem Formantrag am 07.01.1998 einen Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung. In Letzterem verneinte er die Frage nach Versicherungspflicht bei einer gesetzlichen Krankenkasse. Der Antrag enthielt auch den Passus, dass sich der Antragsteller u.a. verpflichtet, die Beendigung der freiwilligen Krankenversicherung, den Beginn einer Versicherungspflicht in der Krankenversicherung und jede Änderung des Pflegeversicherungsverhältnisses (z.B. Eintritt von Versicherungspflicht) unverzüglich der Beklagten anzuzeigen.

Mit Rentenbescheid vom 03.04.1998 bewilligte die Beklagte dem Kläger beginnend ab dem 01.04.1998 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit. Mit Bescheiden vom 17.06.1998 gewährte sie ihm sodann antragsgemäß einen Zuschuss zur Kranken- und zur Pflegeversicherung jeweils beginnend ab dem 01.05.1998 und berechnete die Rente für die Zeit ab dem 01.05.1998 neu; die Bewilligung eines Beitragszuschusses für April 1998 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Pflichtversicherung in der GKV über das Arbeitsamt ab. In den Zuschussbescheiden wurde u.a. darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Beitragszuschuss mit der Aufgabe oder dem Ruhen der freiwilligen Krankenversicherung und bei Eintritt von Krankenversicherungspflicht entfalle. Daher bestehe die gesetzliche Verpflichtung, der Beklagten jede Änderung des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses und jede Änderung der Beitragshöhe unverzüglich mitzuteilen.

In der Folge berechnete die Beklagte die Rente des Klägers mehrmals neu, weil sich Änderungen in der Höhe der gewährten Zuschüsse ergaben (Bescheid vom 15.02.2002: ab 01.01.2002 68,14 € monatlich GKV und 8,58 € monatlich SPV; Bescheid vom 08.03.2004: ab 01.04.2004 70,34 € monatlich GKV; Bescheid vom 13.09.2006: ab 01.11.2006 59,40 € monatlich GKV; Bescheid vom 11.02.2008: ab 01.04.2008 67,57 € monatlich GKV; Bescheid vom 14.12.2008: ab 01.01.2009 77,32 € monatlich GKV; Bescheid vom 17.12.2010: ab 01.01.2011 79,19 € monatlich GKV) bzw. weil ab dem 01.04.2004 ein Zuschuss zur SPV von Gesetzes wegen nicht mehr zu gewähren war, weswegen der entsprechende Bewilligungsbescheid vom 17.06.1998 mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde (Bescheid vom 08.03.2004). In den Bescheiden wies die Beklagte jeweils darauf hin, dass die in früheren Bescheiden genannten Mitteilungspflichten nach wie vor gölten und dass ihr Umstände, die den Leistungsanspruch oder d...

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