Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Unfallkausalität. Nachweis. Infektion mit dem Covid-19-Virus. Anscheinsbeweis. Bestimmung einer engen Kontaktperson am Arbeitsplatz. Konkurrenzursache: Infektionsmöglichkeit im privaten Bereich im vergleichbaren Umfang. Industriekauffrau. Bürotätigkeit in einem kleinen Betrieb. Kontakt mit infiziertem Beschäftigten
Leitsatz (amtlich)
1. Dass es in Deutschland massenweise zu Infektionen mit dem Covid-19-Virus kommt, es sich bei einer Infektion also um eine allgemeine Gefahr handelt, steht einer Anerkennung als Arbeitsunfall nicht entgegen.
2. Für die Beurteilung, ob eine Infektion am Arbeitsplatz erfolgt ist, ist die Heranziehung der Grundsätze des Anscheinsbeweises (Beweis des ersten Anscheins) denkbar (im Ergebnis offengelassen).
3. Die vom Robert-Koch-Institut entwickelten Maßstäbe zur Bestimmung enger Kontaktpersonen können nicht unmittelbar für die Beurteilung herangezogen werden, ob eine Infektion durch Kontaktpersonen am Arbeitsplatz erfolgt ist.
4. Die Unfallkausalität ist nicht nachgewiesen, wenn neben Kontakten am Arbeitsplatz in vergleichbarem Umfang Infektionsmöglichkeiten im privaten, nicht versicherten Bereich bestanden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Infektion der Klägerin mit dem Corona-Virus SARS-CoV 2 (nachfolgend: Covid-19-Virus) einen Arbeitsunfall darstellt.
Die am … geborene Klägerin ist Industriekauffrau und für die Büroarbeiten in einem kleinen Handwerksbetrieb, in dem 14 Personen tätig sind, angestellt. Zu Kontakt mit anderen Beschäftigten kommt es in einem Büro (ca. 60 m²), welches die Klägerin zusammen mit dem Inhaber des Betriebes nutzt und welches auch von weiteren Beschäftigten aufgesucht wird. Außerdem hat sie Kontakt zu anderen Beschäftigten in der Fertigungshalle (ca. 1000 m²) des Betriebes, welche die Klägerin mehrmals täglich aufsucht. Die Klägerin lebt mit ihren drei Söhnen in häuslicher Gemeinschaft (Einfamilienhaus).
Im Betrieb wurde eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und die dort gegebenen Hinweise nach Angaben des Unternehmers auch eingehalten. Danach wurden etwa Kontakte zwischen den Beschäftigten möglichst vermieden und Abstände (mindestens 1,5 m) eingehalten. Die Zahl der Personen im Aufenthaltsraum und bei Besprechungen wurde begrenzt, möglichst in versetzten Arbeitszeit gearbeitet und regelmäßig gelüftet. Es waren Hygienestationen zum Händewaschen und Desinfizieren vorhanden. Die Beschäftigten trugen durchgehend Mund-Nasen-Schutz (im Fall der Klägerin OP-Masken, keine FFP2-Masken).
Am Montag, den 12. April 2021 wurde … (nachfolgend: A), der als Leiharbeitnehmer im selben Handwerksbetrieb beschäftigt war, positiv auf das Covid-19-Virus getestet. Eine vom Arbeitgeber veranlasste Testung bei den Beschäftigten des Betriebes vom 13. April 2021 ergab keine weiteren Nachweise von Infektionen, auch nicht bei der Klägerin. In der Nacht vom 15. auf den 16. April 2021 verspürte die Klägerin erste Symptome und am 19. April 2021 wurde ein positiver PCR-Test vorgenommen. Die Klägerin befand sich vom 19. bis 30. April 2021 in Absonderung, während der sie an erheblichen Krankheitssymptomen (nach eigenen Angaben: Husten, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Kraftlosigkeit, Kopfschmerzen, Müdigkeit, Einschränkung des Geruchssinns) litt. Ebenfalls am 19. April 2021 war einer ihrer Söhne, … (nachfolgend N), positiv getestet worden. Die beiden weiteren Kinder der Klägerin wurden nicht getestet, blieben aber auf Anordnung einer Mitarbeiterin der Stadt … mit der Klägerin in Absonderung. Am 21. April 2021 spürte ein weiterer Beschäftigter, der Meister … (nachfolgend: W), erste Symptome und wurde am selben Tag positiv getestet. Ansonsten haben sich in dem Betrieb zum damaligen Zeitpunkt keine Beschäftigten infiziert.
Nach Angaben der Klägerin heilte die Infektion bei ihr nicht vollständig aus, sondern es sind Langzeitfolgen (allgemeine Abgeschlagenheit; Antriebslosigkeit; ständige Müdigkeit; Atemnot auch bei geringen Anstrengungen; häufige Kopfschmerzattacken; Muskelkrämpfe; Lebensmittelunverträglichkeiten; Beeinträchtigung des Geruchs- und des Geschmackssinns) verblieben.
Der Arbeitgeber meldete den Vorfall mittels Unfallanzeige vom 6. Mai 2021 (ausgefüllt und unterschrieben von der Klägerin selbst). Ausweislich eines Aktenvermerks vom 19. Mai 2021 gab die Klägerin telefonisch gegenüber der Beklagten an, sie und ein weiterer Kollege (gemeint: W) seien durch A angesteckt worden. Beide hätten ansonsten keine Infektionen im Verwandtenkreis gehabt. Sie habe sich oft in der Fabrikationshalle aufgehalten und öfters mittelbaren Kontakt (1,5 m und 15 Minuten) zu A gehabt. Die Maske habe sie bei engem Kontakt immer getragen. Im weiteren Verfahren (Schreiben vom 21. Oktober 2021) gab die Klägerin an, sie müsste sich schon sehr wundern, wenn sie sich außerhalb des Betriebes infiziert hätte, da sie zur damaligen Zeit nur noch zum ...