Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchsbeschränkung. fehlende Mitwirkung bei der Passbeschaffung. unabweisbar gebotene Leistung. Kürzung des Bargeldbedarfs um 30 %. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Soweit § 1a AsylbLG die Anspruchsbeschränkung auf das im Einzelfall nach den Umständen unabweisbare begrenzt, schließt dies einen pauschalierten Leistungsabschlag von 30 % nicht aus. Die Entscheidung des BVerfG vom 18.7.2012 - 1 BvL 10/10 ua = SozR 4-3520 § 3 Nr 2 steht dem nicht entgegen.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der nach eigenen Angaben 1986 geborene Kläger, dessen Staatsangehörigkeit nicht endgültig geklärt ist, reiste im August 2008 in das Bundesgebiet ein; seither erhält er Leistungen nach dem AsylbLG. Sein Antrag auf Gewährung von Asyl wurde mit Bescheid vom 21. Oktober 2008 als offensichtlich unbegründet abgelehnt; seit Februar 2009 verfügt er über eine Duldung.
Der Kläger wendet sich zum einen gegen den vorläufigen Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2013, mit dem antragsgemäß und bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums (137,-- €) ab dem 24. Januar 2013 gewährt werden unter Kürzung des Leistungsbezugs um 30 % (künftig monatlich 96 €, für Januar anteilig 25,60 €). Zum anderen wendet er sich gegen den vorläufigen Bescheid vom 18. Februar 2013, mit dem unter Aufhebung des bestandskräftigen Bescheides vom 26. November 2012 über die Einstellung der Taschengeldzahlung und der Bekleidungsbeihilfe Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums (134,-- €) für den Monat Dezember 2012 in Höhe von 93,80 € und anteilig bis einschließlich 23. Januar 2013 in Höhe von 73,52 € nachgezahlt werden, wiederum unter Kürzung des Leistungsbezugs um 30 %.
Die mit Bescheid vom 26. November 2012 verfügte Leistungseinstellung ab Dezember 2012 begründete die Beklagte mit der fehlenden Mitwirkung des Klägers bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten. Aus demselben Grund erfolgte die 30%ige Kürzung in den angegriffenen (Abhilfe-)Bescheiden, wobei sich die Beklagte zur Wiederaufnahme der Leistungen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 veranlasst sah.
Den gegen die 30%ige Kürzung des "Taschengelds" erhobenen Widerspruch wies die Regierung von Niederbayern mit Bescheiden vom 25. März 2014 als unbegründet zurück. Die Kürzung des Taschengeldanspruchs aus § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG beruhe auf der Rechtsgrundlage des Missbrauchstatbestandes des § 1a Nr. 2 AsylbLG. Der Kläger habe sich mehrmals seiner Mitwirkungspflichten bei der Beschaffung von Pass-/Passersatzpapieren entzogen. Die angegriffenen Bescheide seien Änderungsbescheide, mit denen der bestandskräftige Bescheid vom 26. November 2012 teilweise aufgehoben worden ist. Die Höhe der Kürzung sei unter Heranziehung der Wertung des § 31 SGB II nicht zu beanstanden.
Der Kläger ließ hiergegen Klage erheben. Die Leistungsbeschränkung durch die Beklagte verstoße gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 GG und sei daher rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bestehe für die Gewährleistung eines menschwürdigen Existenzminimums ein unmittelbarer verfassungsrechtlicher Leistungsanspruch, der auch die Geldleistung zur Deckung persönlicher Bedürfnisse des täglichen Lebens mitumfasse und daher nicht gekürzt werden könne. Migrationspolitische Erwägungen rechtfertigten kein Absenken des Leistungsstandards unter das soziokulturelle Existenzminimum. Die Sanktionstatbestände des SGB II unterschieden sich von § 1a AsylbLG dadurch, dass sie regelmäßig nur zeitlich begrenzt festgesetzt würden.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 26. November 2012 und vom 30. Januar bzw. 18. Februar 2013 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. März 2014 zu verpflichten, dem Kläger für den Zeitraum ab 01. Dezember 2012 Leistungen nach dem AsylbLG in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2012 habe sich zur Möglichkeit einer Leistungsabsenkung nach § 1a Nr. 2 AsylbLG nicht verhalten. Mehrere Landessozialgerichte hätten ein derartiges Vorgehen bei verweigerter Mitwirkung zur Identitätsklärung bestätigt. Mit den auf 70 % gekürzten Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums werde immer noch ein Betrag zur Verfügung gestellt, der über dem unabweisbar gebotenen liege.
Verwiesen wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und auf die vorgelegten Verwaltungsakten. Aus letzteren ergibt sich, dass der Kläger, der sich bei der Asylantragstellung als algerischer Staatsangehöriger bezeichnete, zum Zwecke der Ausstellung eines gültigen Reisedokuments mehrfach dem algerischen Generalkonsulat vorgeführt ...