Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Mehrbedarf bei Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G. rückwirkende Bewilligung. Mitumfassung durch den ursprünglichen Leistungsantrag. Aufhebungsbescheid nach § 48 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 10
Leitsatz (amtlich)
1. § 30 Abs 1 SGB XII setzt für den Beginn der Gewährung des Mehrbedarfes nicht ausdrücklich den Nachweis über die Feststellung des Merkzeichens G und die Aktenkundigkeit beim zuständigen Sozialhilfeträger voraus. Der Gesetzeswortlaut und die Entstehungsgeschichte lassen keinen entsprechenden sicheren Schluss zu.
2. Es ist vielmehr für den Zeitpunkt des Entstehens des Anspruches eine strenge Trennung zwischen dem Zeitpunkt der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens G und dem Zeitpunkt des Nachweises vorzunehmen.
3. Ein Nachweis hat zwar gegenüber dem Sozialhilfeträger zwingend zu erfolgen, dieser kann aber nach teleologischer Auslegung des § 30 Abs 1 SGB XII auch für einen zurückliegenden Zeitraum erbracht werden.
Orientierungssatz
1. Ein Antrag auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist stets so auszulegen, dass er alle in Betracht kommenden Leistungen, insbesondere die die Regelleistung anhebenden Zuschläge gemäß § 30 SGB 12 mit umfasst.
2. Obwohl die Voraussetzungen für das Merkzeichen G schon vor Erlass des Bewilligungsbescheides eingetreten sind, ist vorliegend dennoch von einer nachträglichen Änderung iS des § 48 Abs 1 SGB 10 auszugehen, weil die Änderung erst durch einen Bescheid des Versorgungsamtes festgestellt wurde, der während des laufenden Bewilligungszeitraums ergangen ist und damit bei Erlass des Bewilligungsbescheides noch keine Berücksichtigung finden konnte.
Nachgehend
Tenor
I. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Abänderung des Bescheides vom 02.05.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2014 Leistungen nach dem SGB XII unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfes für Gehbehinderte gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII bereits ab dem 21.10.2013 zu bewilligen.
II. Der Beklagte trägt die notwendigen, außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
III. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die im Jahr 1946 geborene Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage die rückwirkende Gewährung eines Mehrbedarfs für Gehbehinderte für die Zeit vom 21.10.2013 bis 31.03.2014.
Die Klägerin bezieht laufend Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Mit Bescheid vom 20.12.2013 wurden ihr vom Landratsamt B-Stadt Leistungen für den Zeitraum 01.01.2014 bis 31.12.2014 in Höhe von monatlich 636,87 € bewilligt.
Bereits am 21.10.2013 stellte die Klägerin einen Antrag auf Neufeststellung ihres Grades der Behinderung (GdB) und Feststellung des Merkzeichen G beim Versorgungsamt. Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt zunächst mit Bescheid vom 29.11.2013 ab. Im Widerspruchsverfahren wurden sodann mit Bescheid des Versorgungsamtes vom 24.04.2014 ab dem 21.10.2013 ein GdB von 70 und das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen G festgestellt.
Daraufhin beantragte der Bevollmächtigte der Klägerin beim Beklagten am 30.04.2014 die Gewährung eines Mehrbedarfs für gehbehinderte Menschen gemäß § 30 Abs. 1 SGB XII.
Der Beklagte hob sodann mit Bescheid vom 02.05.2014 den Bewilligungsbescheid vom 20.12.2013 für die Zeit ab dem 01.04.2014 auf und bewilligte vom 01.04.2014 bis 31.12.2014 Grundsicherungsleistungen nunmehr unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von monatlich 66,47 €.
Am 05.05.2014 legte die Klägerin dagegen Widerspruch ein. Der Mehrbedarf sei bereits ab dem 21.10.2013 zu gewähren, weil seit spätestens diesem Zeitpunkt der Bedarf für notwendige Mehrausgaben entstanden sei.
Der Widerspruch wurde mit Bescheid der Regierung von Niederbayern vom 16.09.2014 als unbegründet zurückgewiesen. § 30 Abs. 1 SGB XII setze für den Beginn der Gewährung des Mehrbedarfs ausdrücklich den Nachweis über die Feststellung des Merkzeichen G und § 18 Abs. 1 SGB XII die Aktenkundigkeit beim zuständigen Sozialhilfeträger voraus.
Am 20.10.2014 erhob der Bevollmächtigte dagegen Klage zum Sozialgericht Landshut. Es sei zwischen der formellen Zielrichtung der §§ 28, 30 SGB XII, einem Antragsteller den Nachweis zu erleichtern, und dem materiellen Gesetzeszweck, dem materiellen Anspruch auf die Leistung des Mehrbedarfs zum Ausgleich der notwendigen Mehrausgaben, zu unterscheiden. Mit Vorlage des Bescheides vom 24.04.2014 habe die Klägerin den Nachweis des Mehrbedarfs ab dem 21.10.2013 erbracht. Die Änderung in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen sei ab dem 21.10.2013 eingetreten.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des Bescheides des Landratsamtes B-Stadt vom 02.05.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.09.2014 zu verpflichten, der Klägerin ab ...