Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Dokumentenpauschale. Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine fast vollständig kopierte Behördenakte

 

Leitsatz (amtlich)

Regelmäßig ist die (nahezu) vollständige Ablichtung der Behördenakte im Rahmen sachgemäßer anwaltlicher Mandatsausübung erforderlich.

 

Tenor

1. Die den Erinnerungsführerinnen durch den Erinnerungsgegner zu erstattenden weiteren außergerichtlichen Kosten werden unter Abänderung des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 16. März 2016 auf 198,79 € festgesetzt.

2. Die außergerichtlichen Kosten der Erinnerungsführerinnen im Erinnerungsverfahren sind durch den Erinnerungsgegner zu erstatten.

 

Gründe

I.

Streitig ist die Höhe der vom Erinnerungsgegner zu erstattenden Rechtsanwaltsgebühren für ein sozialgerichtliches Verfahren auf dem Gebiet der Grundsicherung.

Die anwaltlich vertretenen Erinnerungsführerinnen stritten im vorangegangenen Klageverfahren (S 3 AS 3221/11; anhängig seit 10. Oktober 2011) mit dem Erinnerungsgegner um die Rechtmäßigkeit der teilweisen Aufhebung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) und eine hieran anknüpfende Erstattungsforderung. Nach Übersendung der insgesamt 1.213 Blatt umfassenden fünfbändigen Verwaltungsakte durch den Erinnerungsgegner wurde dem Prozessbevollmächtigten der Erinnerungsführerinnen antragsgemäß Akteneinsicht gewährt. Der Klage wurde durch rechtskräftiges Urteil vom 17. Juli 2015 unter Zuerkennung eines Kostenerstattungsanspruchs dem Grunde nach stattgegeben.

Nach antragsgemäßer Zahlung der geltend gemachten Geschäfts-, Verfahrens- und Terminsgebühr beantragten die Erinnerungsführerinnen die Festsetzung weiterer Kosten gegenüber dem Erinnerungsgegner wie folgt:

Klageverfahren (Erster Rechtszug)

Fotokopiekosten (Nr. 7000 VV) - 997 Seiten 

167,05 €

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insgesamt

167,05 €

19 % Mehrwertsteuer gemäß Nr. 7008 VV

31,74 €

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Gesamtsumme

198,79 €

Der Kostenfestsetzungsantrag wurde durch Beschluss vom 16. März 2016 zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt:

"Mit Schriftsatz vom 30.10.2015 erachtet der Beklagte die Auslagen nicht als erstattungsfähig, weil deren Herstellung in dem Umfang nicht zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Zwar sei ein Rückforderungszeitraum von 40 Monaten betroffen in dem 8 Ausgangsbescheide, 26 Änderungsbescheide, der Widerspruch und der Widerspruchsbescheid erlassen wurde, jedoch mangelt es an der Notwendigkeit.

Die Klägervertreterin teilte mit Schreiben vom 17.11.2015 mit, dass bei der Ausübung des Ermessens, welche Unterlagen notwendig und erforderlich sind, kein kleinlicher Maßstab anzulegen sei. Insbesondre müssen möglicherweise alle Eventualitäten mit berücksichtigt werden. Ferner wird vorgetragen, dass die Verwaltungsakte mehr als 1.000 Seiten habe und die Akte lediglich für fünf Tage zur Einsicht überlassen wurde. Zudem seien Vermerke und Verfügungen in der Verwaltungsakte ebenfalls zu berücksichtigen, weil sich hieraus verfahrensrelevante Informationen ergeben könnten. Auf die abgegebenen Stellungnahmen im Kostenfestsetzungsverfahren wird verwiesen.

Im vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahren konnte zwischen den Beteiligten keine Einigung über die Höhe der zu erstattenden Kosten erzielt werden. Daher hatte eine förmliche Entscheidung zu erfolgen.

Auslagen, VV-Nr. 7000 RVG

Gemäß Nr. 7000 Nr. 1 a) VV RVG hat der Rechtsanwalt Anspruch auf Ersatz von Schreibauslagen für Abschriften und Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgerechten Bearbeitung der Rechtssache geboten war. Wenngleich die Beurteilung, welche Kopien zur Bearbeitung der Sache sachgemäß waren, um sich auf alle Eventualitäten vorzubereiten, dem Rechtsanwalt überlassen ist, so muss doch dieses Ermessen auch ausgeübt werden. Dies darf wiederum nicht dazu führen, dass ganze Behördenakten abgelichtet werden, ohne Rücksicht auf Inhalt und Bedeutung der einzelnen Seiteninhalte (SG Chemnitz, Beschluss vom 27.01.2010, Az.: S 3 SF 173/09 E; vgl. SG Berlin, Beschluss vom 11.03.2008, Az.: S 45 VG 60/04). Die Erforderlichkeit der gefertigten Kopien wird dann nicht anzunehmen sein, wenn der gesamte Aktenvorgang abgelichtet wird (vgl. LSG Thüringen, Beschluss vom 19.05.2003, Az.: L 6 B 18/03 SF). Begründet der Anwalt die Notwendigkeit der geltend gemachten Kopien nicht nachvollziehbar, ist eine Kostenerstattung insoweit abzulehnen (Sächs. LSG, Beschluss vom 10.05.2010, Az: L 6 AS 155/10 B KO; SG Dresden, Beschluss vom 03.03.2009, Az.: S 20 SF 101/08 AS/F; SG Chemnitz, Beschluss vom 05.02.2007, Az.: S 29 AS 588/06).

Nachdem im Kostenfestsetzungsverfahren keine Einigung hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit erzielt werden konnte, hat das Gericht die betreffenden Verwaltungsakten angefordert. Hierbei handelt es sich um 5 Bände. Unter Berücksichtigung des strittigen Bewilligungszeitraumes 01.01.2008 bis 30.04.2011 befinden sich in den Verwaltungsakten 959 bedruckte Seiten (Blatt 270 bis 1.123). Hierbei eingeschloss...

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