Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung; Hilfsmittelversorgung. hier: Optune-Behandlungsset zur Therapie mit TTF (Tumortherapiefeldern) bei Glioblastom
Leitsatz (amtlich)
1. Wird in der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) auf die "Standardtherapie" verwiesen (hier: § 2 Satz 1 der Nr. 34 Anlage I), ist grundsätzlich die Standardtherapie nach dem allgemein anerkannten Stand der (wissenschaftlich-) medizinischen Erkenntnisse (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V) im jeweiligen Entscheidungszeitpunkt gemeint und nicht der Stand im Zeitpunkt der Beschlussfassung des GBA. Insoweit kann ein in einer Leitlinie ausgewiesener Expertenkonsens einen Anhaltspunkt für den aktuellen Stand im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung geben; denkbar ist aber auch, dass sich seit Veröffentlichung einer Leitlinie aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ein veränderter aktueller Stand ergeben hat.
2. Zur Versorgung einer Versicherten mit einem Optune-Behandlungsset zur Therapie mit TTF (Tumortherapiefeldern) bei einem Glioblastom als mögliche Leistung aufgrund einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung gemäß § 2 Abs. 1a SGB V.
Tenor
I. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig und laufend bis zur bestandskräftigen Entscheidung im Widerspruchsverfahren mit dem Hilfsmittel gemäß Position 09.17.01.001 des GKV-Hilfsmittelverzeichnisses - einem Optune-Behandlungsset des Herstellers N. GmbH - zur Durchführung einer TTF-Therapie zu versorgen.
II. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Versorgung mit einem Hilfsmittel zur Durchführung einer Therapie mit Tumortherapiefeldern (TTF-Therapie) im Rahmen der Behandlung eines Glioblastoms.
Bei der am 8. Januar 1982 geborenen und bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversicherte Antragstellerin wurde im Dezember 2022 ein Glioblastom temporal links mit stark methyliertem MGMT-Promoter diagnostiziert, d.h. ein Tumor des zentralen Nervensystems gemäß WHO Grad IV (äußerst bösartige Tumore), das noch im gleichen Monat im Rahmen einer mikrochirurgischen Operation entfernt wurde. Als Folgebehandlung schloss sich ab dem 17. Januar 2023 eine sechswöchige Radiochemotherapie an, d.h. eine Strahlentherapie mit einer Gesamtdosis von 60,0 Gray und ein erster von sechs Zyklen der Chemotherapie mit 100 mg/m2 Lomustin (CCNU) und 100 mg/m2 Temozolomid (TMZ). Ab dem 28. Februar 2023 begannen die fünf weiteren Zyklen der Chemotherapie, jeweils mit mehrwöchigen Pausen. Der letzte Zyklus hat am 15. August 2023 begonnen; die Antragstellerin befindet sich aktuell in der bis 1. Oktober 2023 dauernden Ruhephase hierzu.
Entsprechend einer Empfehlung des Tumorboards des U. vom 23. März 2023 verordnete Dr. D. vom MVZ am U. der Antragstellerin am 30. März 2023 unter Angabe der vorgenannten Diagnose eine sog. Optune-Therapie - d.h. ein unter Position 09.17.01.0001 (Hilfsmittel zur Erzeugung von Tumortherapiefeldern) im GKV-Hilfsmittelverzeichnis aufgeführtes Optune-Behandlungsset, zu dem vor allem ein tragbares Gerät zur Erzeugung von elektrischen Tumortherapiefeldern durch an der Kopfhaut befestigte Elektroden gehört.
Die Optune- bzw. TTF-Therapie ist mit Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 20. März 2020 unter Nr. 34 Anlage I der Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung (MVV-RL) als neue anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethode aufgenommen worden. Auch die zugehörige ärztliche Behandlung (Indikationsstellung, Zusatzpauschale für die Behandlung und Betreuung von Patienten mit Tumortherapiefeldern usw.) ist im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nach den Positionen 30310, 30311 und 30312 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) abrechenbar.
Aufgrund der Verordnung beantragte die N. GmbH für die Antragstellerin unter dem 20. April 2023 bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit dem begehrten Hilfsmittel und legte hierzu einen Kostenvoranschlag vor, der monatliche Kosten in Höhe von 14.865,00 EUR (unter Berücksichtigung von 10,00 EUR Zuzahlung der Antragstellerin) vorsieht.
Mit Bescheid vom 9. Mai 2023 lehnte die Antragsgegnerin die Hilfsmittelversorgung ohne Angabe von Gründen ab.
Dagegen legte die Antragstellerin mit einem am 6. Juni 2023 bei der Antragsgegnerin eingegangenen Schreiben Widerspruch ein. Es lägen neuere Studien vor, die belegten, dass gerade auch bei Patienten, die - wie die Antragstellerin - bei der (Erhaltungs-) Chemotherapie nach dem sog. CeTeG-Schema (Kombination von CCNU und TMZ) behandelt würden, durch die TTF-Therapie ein substantieller Vorteil hinsichtlich der Überlebensdauer erzielt werden könne. Zumindest nach § 2 Abs. 1a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) sei ein Anspruch der Antragstellerin auf das betreffende Hilfsmittel begründet.
Die Antragsgegnerin holte daraufhin eine gutachterliche Stellungnahme des M. D. S. (MD) vom 23. Juni 2023 ein. Darin heiß...