Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Hilfsmittelversorgung. Tumortherapiefelder (TTF) bei der Behandlung eines Glioblastoms. Standardtherapie. Off-Label-Use. Anspruch aus § 2 Abs 1a SGB 5

 

Leitsatz (amtlich)

1. Soweit in der Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung (juris: MVVRL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) in Nr 34 der Anlage 1 auf die "Standardtherapie" verwiesen wird, ist grundsätzlich die Standardtherapie nach dem allgemein anerkannten Stand der (wissenschaftlich-)medizinischen Erkenntnisse zum jeweiligen Entscheidungszeitpunkt gemeint und nicht der Stand zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des G-BA.

2. Die Behandlung eines Glioblastoms IDH-Wildtyp, WHO Grad IV, mittels CeTeG-Protokoll stellt derzeit keine Standardtherapie iSd Nr 34 der Anlage 1 der MVVRL des G-BA dar. Die Behandlung dieser Erkrankung mittels CeTeG-Protkoll erfüllt jedoch die Voraussetzungen des richterrechtlichen Off-Label-Use. Dies gilt derzeit jedoch nicht für die Behandlung mittels Bevacizumab.

3. Bei Vorliegen eines Glioblastoms IDH-Wildtyp, WHO Grad IV, können, aufgrund der derzeitigen Forschungsergebnisse, bei einer Behandlung mittels Bevacizumab die Voraussetzungen von§ 2 Abs 1a SGB V erfüllt sein.

4. Weder die Behandlung mittels CeTeG-Protokoll noch dessen Kombination mit Bevacizumab stehen einem Anspruch auf Versorgung mit TTF zur Behandlung eines Glioblastoms IDH-Wildtyp, WHO Grad IV, nach§ 2 Abs 1a SGB V zwingend entgegen.

 

Orientierungssatz

Aktenzeichen beim LSG Stuttgart: L 4 KR 3389/23 ER-B

 

Tenor

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.09.2023 mit dem Hilfsmittel TTFields-Optune zu versorgen.

Die Antragsgegnerin erstattet die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über die Versorgung der Antragstellerin mit dem Hilfsmittel TTFields-Optune (im Folgenden auch TTF, Optune sowie Optune-Therapie) zur ergänzenden Behandlung eines bei der Antragstellerin bestehenden Glioblastoms.

Im Rahmen der Behandlung mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel erfolgt eine nichtinvasive regionale Therapie. Es handelt sich um ein elektrisches Gerät, welches von der N. GmbH hergestellt wird. Auf die Kopfhaut des Patienten, die zuvor rasiert werden muss, werden (elektrisch isolierte) Oberflächenelektroden geklebt, sogenannte „Transducer-Arrays“. In einem Rucksack oder am Gürtel wird ein elektrisches Gerät getragen, welches mit Kabeln an die Kopfelektroden angeschlossen wird. Über die Kopfelektroden lokal elektrische Wechselspannungsfelder mit einer Frequenz von 200 Kilohertz über die Kopfhaut auf das Glioblastom übertragen, mit dem Ziel, die Tumorzellproliferation durch Interferenz mit der Mitoseaktivität der Zellen zu hemmen (§ 1 des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) vom 20.03.2020). Das Gerät soll mindestens 18 Stunden pro Tag eingeschaltet bleiben (vgl. hierzu Seite 4 des Benutzerhandbuches zu Novo TTF 200A).

Die am … geborene Antragstellerin stellte sich am 17.03.2023 im Universitätsklinikum T. vor. Hierbei berichtete sie über eine diffuse Symptomatik, bestehend aus Kopfschmerzen, intermittierenden Sprachstörungen, wie auch Brustschmerzen. Die Behandler veranlassten daraufhin ein cMRT, welches am 17.03.2023 durchgeführt wurde. Nach dessen Auswertung stellten sie die Verdachtsdiagnose einen Glioblastoms. Die Aufnahme der Antragstellerin zur stationären Behandlung erfolgte am 19.03.2023. Am 20.03.2023 erfolgte eine mikrochirurgische Resektion über eine temporale Kraniotomie. Im anschließend am 21.03.2023 durchgeführten cMRT stellten die Behandler keine postoperative Komplikation fest. Histologisch konnten die Behandler am 21.03.2023 gesichert die Diagnose eines Gliablastoms IDH-Wildtyp, ZNS WHO Grad IV mit methyliertem MGMT-Promotor links temporal stellen. Dabei handelt es sich um einen malignen Tumor des Hirngewebes, der klinisch insbesondere mit Lähmungen, Kopfschmerzen, psychische Veränderungen und epileptische Anfällen einhergehen kann. Ohne Therapie versterben die meisten Patienten innerhalb weniger Monate. Mit Therapie liegt die Überlebenszeit im Mittel bei ein bis zwei Jahren (vgl. hierzu: https://www.pschyrembel.de/Glioblastom/K08V7/doc/).

In der am 28.03.2023 durchgeführten neuroonkologischen Tumorkonferenz legten die Behandler fest, dass nach Bestimmung des HLA-A2-Status für GLIO-X515 in der Folge entsprechend eine Radiochemotherapie nach Stupp- oder CeTeG-Protokoll evaluieret werden solle. Der Einsatz von Tumor Treating Fields (TTF) solle nach Abschluss der RTCHx evaluieret werden.Die Behandlung erfolgte seither, unter anderem, unter Mitwirkung von Prof. Dr. Dr. T. (Leiterin der Interdisziplinären Sektion Neuroonkologie des Zentrums für Neuroonkolgie des Universitätsklinikums T.).

Im Rahmen des am 13.04.2023 durchgeführten cMRT stellten die Behandler fest, dass der Befund vereinbar sei mit einem Mischbild aus p...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge