Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Fahrkosten. Fahrten zur Arbeitsstelle bei stufenweiser Wiedereingliederung. kein Anspruch ggü der Krankenkasse
Leitsatz (amtlich)
1. Fahrtkosten zur Arbeitsstelle bei stufenweiser Eingliederung nach § 74 SGB V (nicht: Belastungserprobung nach § 42 SGB V) sind nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung zu tragen (entgegen SG Dresden vom 17.6.2020 - S 18 KR 967/19).
2. Denn die stufenweise Wiederaufnahme der Erwerbstätigkeit ist zwar eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation, aber ebenso wenig wie die Erwerbstätigkeit selbst eine Leistung des Rehabilitationsträgers. Die Zielsetzung der Wiedereingliederung wird mit der Leistung des vollen Krankengeldes unterstützt (entgegen LSG Neustrelitz vom 28.5.2020 - L 6 KR 100/15).
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob die Beklagte Fahrtkosten des Klägers zu seiner Arbeitsstelle während der stufenweisen Wiedereingliederung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit erstatten muss.
Der …. geborene Kläger ist Pflichtmitglied der Beklagten und seit als Postzusteller für Briefe und Pakete beschäftigt. Eine Schwerbehinderung des Klägers ist mit einem GdB von 20 anerkannt. Die Arbeitsstelle des Klägers in B.... ist auf der kürzesten Straßenverbindung 33,3 km von seinem Wohnort entfernt. Im Zeitraum vom 01.12.2020 bis 10.04.2021 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Die für den Zeitraum vom 13.01.2021 bis 13.02.2021 durch seinen behandelnden Hausarzt vorgesehene stufenweise Wiedereingliederung des Klägers wurde zum 01.02.2021 erkrankungsbedingt abgebrochen. Zu den Einzelheiten wird auf die Kopie des Wiedereingliederungsplans Bl. 16 der Gerichtsakte (GA) verwiesen. Ab 02.02.2021 bis 03.03.2021 erfuhr der Kläger eine stationäre orthopädische Rehabilitationsmaßnahme zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung.
Mit elektronischer Nachricht vom 11.01.2021 über das Kontaktformular der Beklagten sowie nachfolgendem Schreiben vom 18.01.2021 beantragte der Kläger Kostenerstattung für seine Hin- und Rückfahrten zur Arbeitsstelle während der Wiedereingliederung. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 25.01.2021 ab. Für die stufenweise Wiedereingliederung sei ein Anspruch auf Fahrtkostenerstattung nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht gegeben. Der Widerspruch des Klägers blieb mit Widerspruchsbescheid vom 07.06.2021 ohne Erfolg.
Mit der am 07.07.2021 erhobenen Klage bringt der Kläger vor, auch die stufenweise Wiedereingliederung sei eine Leistung der medizinischen Rehabilitation und die Beklagte daher gemäß §§ 60 Abs. 5, 74, 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Kostenerstattung verpflichtet. Die Fahrtkosten seien ausgehend von der kürzesten Straßenverbindung und 14 absolvierten Arbeitstagen in Höhe von 186,48 € (66,6 km x 14 Tage x 0,20 €) gemäß § 5 Abs. 1 Bundesreisekostengesetz zu erstatten.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 25.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.202 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Fahrtkosten bei stufenweiser Wiedereingliederung für den Zeitraum 13.01.2021 bis 01.02.2021 in Höhe von 186,48 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
Die Beklagte macht geltend, die stufenweise Wiedereingliederung nach § 74 SGB V werde als medizinische Rehabilitationsleistung nicht durch die Beklagte erbracht, sondern sei durch ein Zusammenwirken von Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf der Grundlage des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) geprägt. Eine Erkrankung sei auch nicht mit einer Behinderung i. S. des § 44 SGB IX gleichzusetzen.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung der Kammer ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Klage, über die die Kammer im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen Rechte des Klägers nicht.
1. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Fahrtkostenerstattung aus § 60 SGB V.
a) Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB V übernimmt die Krankenkasse nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten […], wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse aus zwingenden medizinischen Gründen notwendig sind. Die Tatbestandsvoraussetzungen von § 60 Abs. 2, 3 SGB V sind offensichtlich nicht erfüllt, weil die Arbeitstätigkeit zur Wiedereingliederung keine stationär erbrachte Leistung oder Krankenbehandlung darstellt.
b) Gemäß § 60 Abs. 5 SGB V werden Fahr- und andere Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § ...