Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung. Unbestimmtheit der gesetzlichen Anspruchsgrundlage. Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung

 

Orientierungssatz

1. § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 genügt als gesetzliche Anspruchsgrundlage nicht den verfassungsrechtlichen Vorgaben, die das BVerfG im Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua = SozR 4-4200 § 20 Nr 12, beschrieben hat.

2. Die Regelung ist nicht hinreichend bestimmt. Sie muss deshalb bis auf weiteres verfassungskonform ausgelegt werden.

3. Dazu ist in erster Linie auf die tatsächlichen Unterkunftskosten abzustellen.

4. Das Korrektiv der Angemessenheit kommt nur in Ausnahmefällen zum Tragen, nämlich wenn die Unterkunftsverhältnisse bzw -kosten in einem auffälligen Missverhältnis zu den sonstigen Lebensumständen des Leistungsempfängers stehen (Stichwort: "Luxus-Wohnung").

 

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 20.04.2012 und 11.07.2012 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2012 (W 6689/12) verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.08.2012 weitere 295,53 € für Unterkunft und Heizung zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II.

Der 49-jährige, alleinstehende Kläger ist schon seit geraumer Zeit erwerbslos und bezieht Alg-II. Ende des Jahres 2011 wurde er obdachlos.

Mitte März 2012 kam es zwischen dem Kläger und der Wohnungsbau-Genossenschaft “K…„ zum Abschluss eines Mietvertrages über eine Wohnung in der B…-Straße in L... Dies teilte der Kläger dem Beklagten mit Schreiben vom 21.03.2012 unter Vorlage des Mietvertrages mit. Der danach ab 01.06.2012 zu zahlende Mietzins belief sich -einschließlich Nebenkostenvorauszahlung- auf monatlich 342,41 € (§§ 2; 3 des Mietvertrages).

Die Wohnung ist mit einer Gasheizung ausgestattet. Für die Gasversorgung hatte der Kläger ab Juni 2012 an die Stadtwerke L... monatlich 60,00 € zu zahlen.

Mit Bescheid vom 29.03.2012 entschied der Beklagte, dass eine Zustimmung zum Umzug in die Wohnung nicht erteilt werden könne, weil die Wohnung nicht den Angemessenheitskriterien der Verwaltungsrichtlinie “Kosten der Unterkunft„ der Stadt L... entspreche.

Mit Bescheid vom 20.04.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.08.2012 Alg-II in Höhe von monatlich 617,90 €, davon 243,90 € für Unterkunft und Heizung. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch.

Am 11.07.2012 erließ der Beklagte einen Änderungsbescheid, mit dem er dem Kläger im genannten Zeitraum für Unterkunft und Heizung nunmehr monatlich 303,90 € bewilligte. Im Übrigen wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 12.07.2012 als unbegründet zurück.

Dagegen richtet sich die vorliegende Klage.

Der Kläger beantragt,

unter Abänderung der Bescheide vom 20.04.2012 und 11.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.07.2012 (Az.: W 6689/12) den Beklagten zu verurteilen, ihm - dem Kläger - für die Zeit vom 01.06.2012 bis 31.08.2012 monatlich weitere 98,51 €, insgesamt also weitere 295,53 €, an Leistungen für Unterkunft und Heizung zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Sachverhalt wird auf die zitierten Bescheide und Schreiben sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 08.02.2013 verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Der Kläger ist in seinen Rechten verletzt.

Der Kläger kann für die Zeit vom 01.06. bis 31.08.2012 für Unterkunft und Heizung höhere Leistungen beanspruchen, als ihm vom Beklagten bislang bewilligt und gewährt wurden.

Es bedarf keiner näheren Ausführungen, dass der Kläger im fraglichen Zeitraum gemäß §§ 7; 9 SGB II grundsätzlich anspruchsberechtigt und hilfebedürftig war. Das ist unter den gegebenen Umständen, wie sie sich nach Aktenlage darstellen, offenkundig.

Auch muss vor dem Hintergrund, dass der Kläger Anfang des Jahres 2012 obdachlos war, nicht weiter erörtert werden, dass der Bezug der Wohnung in der B…straße erforderlich war.

Für diese Unterkunft waren dem Kläger ab Juni 2012 monatlich insgesamt 402,41 € zu gewähren.

Das folgt aus § 22 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB II.

Als Bedarf für Unterkunft und Heizung sind die tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen.

Diese setzen sich hier zunächst aus der vertraglich geschuldeten Kaltmiete sowie der ebenfalls vertraglich geschuldeten Vorauszahlung auf die Betriebskosten zusammen. Insgesamt waren das 342,41 € (267,09 € + 75,32 €). Das folgt aus § 2 und § 3 des vorgelegten Mietvertrages. An dessen Wirksamkeit bestehen keine Zweifel.

Hinzu kommen für die Heizung noch die monatlichen Abschläge in Höhe von 60,00 €, die an den örtlichen Gasversorger, die Stadtwerke … zu zahlen waren. Sie sind durch das vom Kläger vorgelegte Schreiben der Stadtwerke … vom 12.06.2012 nachgewies...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge