Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente. Bezugszeiten vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ist der Zugangsfaktor nach § 77 Abs 2 S 1 Nr 3, S 2 SGB 6 ab Rentenbeginn abgesenkt. Dies gilt auch für Zeiten des Rentenbezugs vor Vollendung des 60. Lebensjahres (Entgegen BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3).

 

Orientierungssatz

§ 77 Abs 2 SGB 6 begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird unter Übergehung der Berufungsinstanz zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0.

Die Beklagte gewährte dem am ... geborenen Kläger auf der Grundlage eines auf den 24. Januar 2004 datierten Leistungsfalls mit Bescheid vom 12. Dezember 2005 eine vom 01. August 2004 bis zum 31. Juli 2007 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Ausweislich der Anlage 6 Seite 1 des Bescheides vom 12. Dezember 2005 wurde dabei für jeden Kalendermonat nach dem 30. November 2016 bis zum Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres des Klägers, also für 36 Kalendermonate, eine Verminderung des Zugangsfaktors von 1,000 um jeweils 0,003 (also insgesamt 0,108) auf 0,892 vorgenommen. Ausweislich der Anlage 4 Seite 3 des Bescheides vom 12. Dezember 2005 bewertete die Beklagte 154 Monate vom 01. Februar 2004 bis 14. November 2016 mit dem vollen Gesamtleistungswert von 0,0921 Entgeltpunkten (14,1834 Entgeltpunkte). Auf der Grundlage einer Summe von 47,9698 Entgeltpunkten (Ost) und eines Zugangsfaktors von 0,892 errechnete sie 42,7891 persönliche Entgeltpunkte (Ost), aus denen sich ab Rentenbeginn unter Berücksichtigung eines aktuellen Rentenwerts von 22,97 € ein monatlicher Bruttozahlbetrag der Rente (vor Abzug des Beitragsanteils zur Krankenversicherung und des Pflegeversicherungsbeitrages) von 982,87 € ergab.

Den gegen den Bescheid vom 12. Dezember 2005 ohne nähere Begründung eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 11. Mai 2006 zurück. Die hiergegen am 12. Juni 2006 erhobene Klage begründete der Kläger damit, die Beklagte habe eine Absenkung des Zugangsfaktors für Bezugszeiten der Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres vorgenommen, was nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 16. Mai 2006 - B 4 RA 22/05 R - rechtswidrig sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 12. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2006 zu verurteilen, der Berechnung der Rente wegen voller Erwerbsminderung einen Zugangsfaktor von 1,0 zu Grunde zu legen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die vom Kläger in Bezug genommene Entscheidung des Bundessozialgerichts für unzutreffend. Entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichts stelle § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Grundregel dar, die bestimme, dass der Zugangsfaktor bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit für jeden Kalendermonat, für den die Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 63. Lebensjahres in Anspruch genommen werde, um 0,003 zu mindern sei. Der folgende Satz 2 des Absatzes 2 sei eine Berechnungsvorschrift, die die größtmögliche Einbuße durch den verminderten Zugangsfaktor auf 10,8 % begrenze (36 Kalendermonate zwischen der Vollendung des 60. und 63. Lebensjahres x 0,0003 = 0,108). Entgegen der Auffassung des Bundessozialgerichts komme diese gesetzgeberische Intention der Begrenzung des größtmöglichen Abschlages auf 10,8 % in den Gesetzesmaterialien durchaus zum Ausdruck. Es gehe auch nicht an, § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI als bloße Klarstellung des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI zu begreifen. Der Sinn des Satzes 3 ergebe sich erst im Kontext mit Abs. 3 des § 77 SGB VI. Ohne § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB VI würde der geminderte Zugangsfaktor nach § 77 Abs. 3 Satz 1 SGB VI aus einer vor Vollendung des 60. Lebensjahres weggefallenen Erwerbsminderungsrente in eine spätere Rente übernommen werden, was der Gesetzgeber habe ausschließen wollen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 12. Dezember 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Mai 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Die von der Beklagten im Rahmen der Rentenberechnung vorgenommene Verminderung des Zugangsfaktors entspricht den gesetzlichen Vorgaben, die ihrerseits nicht gegen höherrangiges Recht verstoßen.

Nach § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der vorliegend maßgeblichen Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1827) is...

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