Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. abschließende Entscheidung über zunächst vorläufig beschiedene Leistungsansprüche. statthafte Klageart. isolierte Anfechtungsklage. gerichtlicher Prüfungsrahmen. Verpflichtung zum Nachweis leistungserheblicher Tatsachen. Rechtswidrigkeit einer nicht an alle Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Mitwirkungsaufforderung. unangemessene Frist von weniger als 2 Monaten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Richtige Klageart gegen Versagungsbescheide nach § 41a Abs 3 S 3 und 4 SGB II ist die isolierte Anfechtungsklage.

2. Das Gericht hat in derartigen Fällen nur zu prüfen, ob die dort genannten Voraussetzungen für die Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, vorliegen, dagegen auch im Verneinensfall nicht, ob materiell-rechtlich ein Leistungsanspruch gegeben ist.

3. Eine Mitwirkungsaufforderung nach § 41a Abs 3 S 3 SGB II muss sich jedenfalls an alle erwachsenen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft richten. Geschieht dies nicht, ist die Feststellung, dass ein Leistungsanspruch nicht bestand, insgesamt rechtswidrig.

4. Für die Prüfung der Angemessenheit der Frist nach § 41a Abs 3 S 3 SGB II kommt es nur auf die Dauer der von der Behörde gesetzten Frist an, nicht darauf, wieviel Zeit die Bedarfsgemeinschaft insgesamt zwischen dem Ende des verfahrensgegenständlichen Zeitraums und den endgültigen Bescheiden hatte, um Angaben zu ihrem tatsächlichen Einkommen zu machen.

5. Eine Mitwirkungsfrist von weniger als zwei Monaten für einen Selbständigen ist unangemessen.

 

Tenor

Die Bescheide des Beklagten vom 24. Februar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juni 2017 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat den Klägern ihre außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger wenden sich nach vorläufiger Gewährung von Grundsicherung nach dem SGB II gegen Bescheide, die den Leistungsanspruch abschließend auf 0 € feststellen und die Erstattung der vorläufigen Leistungen fordern.

Die 1972 und 1967 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind miteinander verheiratet; die 2001, 2004, 2006, 1997 und am 11.02.1999 (Reihenfolge der Geburtsjahre entsprechend der Reihenfolge der Kläger im Rubrum) geborenen Kläger zu 3) bis 7) sind ihre gemeinsamen Kinder. Alle sind deutsche Staatsangehörige. Im verfahrensgegenständlichen Zeitraum lebten sie noch zusammen.

Die Klägerin zu 1) war mit einem Kurierdienst für Essen selbständig erwerbstätig. Die Klägerin zu 3) wurde ab 08.08.2016 an einer Berufsfachschule zur staatlich geprüften Krankenpflegehelferin ausgebildet. Die Klägerin zu 6) besuchte ab 24.08.2015 eine Berufsfachschule, um sich zur pharmazeutisch-technischen Assistentin ausbilden zu lassen. Beide bezogen ab dem ersten Ausbildungsmonat Leistungen nach dem BAföG. Die Klägerin zu 7) absolvierte bis 24.06.2016 eine zweijährige Berufsfachschulausbildung für Pflegehilfe, wo sie zur staatlich geprüften Krankenpflegehelferin ausgebildet und ihr ein mittlerer Schulabschluss zuerkannt wurde. Die Ausbildung war nach dem BAföG förderfähig. Am 01.08.2016 nahm sie an einer privaten Schule eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin auf. Dafür wurden ihr Leistungen nach dem BAföG bewilligt.

Nach einem von der Klägerin zu 1) gestellten Leistungsantrag gewährte der Beklagte den Klägern vorläufig Grundsicherung nach dem SGB II, und zwar für März 2016 insgesamt 1.347,96 €, für April 2016 1.362,62 €, für Mai bis Juli 2016 je 1.228,17 € und für August 2016 1.242,18 €.

Mit Schreiben vom 21.09.2016, abgesandt am Folgetag, wurde die Klägerin zu 1) vom Beklagten aufgefordert, bis 12.10.2016 abschließende Angaben zum Einkommen zu machen. Sie möge eine Einnahmenüberschussrechnung und die lückenlosen Kontoauszüge aller Privat- und Geschäftskonten von allen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft beibringen. Sofern die Unterlagen bei der abschließenden Entscheidung nicht vorliegen, würde für die betroffenen Leistungsmonate im Rahmen der abschließenden Entscheidung über den Leistungsantrag kein Leistungsanspruch festgestellt. Sofern nach dem materiellen Recht der Leistungsanspruch für alle Monate des Bewilligungszeitraums nur einheitlich festgestellt werden kann (§ 3 Alg II-V), sei die abschließende ablehnende Entscheidung auf den gesamten Bewilligungszeitraum zu erstrecken. Die an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ausgezahlten Leistungen würden dann vollständig zurückgefordert. Mit einer nachträglichen Vorlage von Unterlagen nach der Bekanntgabe des Bescheides könnte die Festsetzung des Anspruchs grundsätzlich nicht mehr mit dem Vortrag erfolgreich angegriffen werden, dass ein anderes Einkommen erzielt worden sei. Nach Bekanntgabe der Entscheidung beigebrachte Unterlagen spielten keine Rolle. Unter dem 03.01.2017 erging an die Klägerin zu 1) eine weitere Mitwirkungsaufforderung mit Frist 27.01.2017 und ansonsten gleichem Inhalt; das Schreiben wurde am 05.01.2017 zugestellt.

Nach Lage der Akten des Beklagten reagierte die Klägerin zu 1) hierauf nicht. ...

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