Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Unfallversicherungsschutz gem § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst a SGB 7. organisatorischer Verantwortungsbereich des Kindergartens. Dauer der Obhutspflicht des Kindergartens. Abholen des Kindes aus der betreuten Kindergartengruppe durch einen Elternteil. anschließender Besuch des öffentlichen Kindergartenfestes auf dem Kindergartengelände
Orientierungssatz
Ein Kindergartenkind, das sich auf einem Kindergartenfest mit Elternbeteiligung (Aufsicht durch die Eltern) auf dem Gelände des Kindergartens verletzt, steht nicht mehr gem § 2 Abs 1 Nr 8 Buchst a SGB 7 unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn es zuvor von der Mutter aus der betreuten Kindergartengruppe abgeholt wurde.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob der Kläger einen bei der Beklagten versicherten Arbeitsunfall erlitten hat.
Der 2012 geborene Kläger besucht die in der Trägerschaft des Arbeiterwohlfahrt Kreisverbandes N. stehende Kindertagesstätte "S." in A. In dem von der gesetzlichen Vertreterin des Klägers unterzeichneten Betreuungsvertrag vom 8. Oktober 2013 heißt es unter Ziffer 6:
"Nachstehende Anlagen sind Bestandteil des Betreuungsvertrages und wurden mir erläutert:
Die Satzung für die Kindertagesstätten des Arbeiterwohlfahrt Kreisverbandes N. und die Hausordnung habe ich zur Kenntnis genommen, diese hängen in der Kita aus."
In der "Satzung für Kindertageseinrichtungen (Kita) des Arbeiterwohlfahrt (AWO) Kreisverbandes N." finden sich folgende Bestimmungen:
"XII. Unfallversicherung
Für den Besuch des Kindes in der Kindertageseinrichtung besteht eine gesetzliche Unfallversicherung (Unfallkasse Sachsen). Diese gilt auch für den direkten Weg zwischen Kindertageseinrichtung und Wohnung des Kindes, sowie bei Veranstaltungen und Unternehmungen der Kindertageseinrichtung.
XIII. Aufsichtspflicht
(2) Bei Veranstaltungen der Kindertageseinrichtung mit Elternbeteiligung obliegt den Erziehungs- oder Personensorgeberechtigten die Aufsichtspflicht, wobei Hausregeln einzuhalten sind."
Ausweislich des Durchgangsarztberichtes von DM B… (Kreiskrankenhaus A.) vom 17. Mai 2017 traf der Kläger dort am 16. Mai 2017 um 18:35 Uhr mit einer sichtbaren Fehlstellung am distalen Unterarm rechts ein. Zum Unfallhergang wurde angegeben, der Kläger sei um 18:15 Uhr beim Frühlingsfest im Kindergarten von einem Holzgerüst gesprungen und auf den rechten Arm gefallen. Röntgenaufnahmen des rechten Handgelenks und Unterarms ergaben eine dislozierte Unterarmschaftfraktur rechts, die nachfolgend reponiert und konservativ behandelt wurde.
In der Unfallanzeige der Kindertageseinrichtung vom 17. Mai 2017 wurde zum Unfallgeschehen ausgeführt:
"Am Dienstag, den 16.05.17 fand in unserer Kindereinrichtung von 16 - 18 Uhr ein Kinderfest statt. O. wurde an diesem Tag von 9 - 16 Uhr in der Kita betreut und dann an die Mutter übergeben. Gemeinsam mit ihr besuchte O. das Kinderfest. 18 Uhr wurde die Veranstaltung offiziell mit einer Durchsage durch den Clown L. beendet. Gegen 18:15 Uhr wurde die Leiterin von anderen Eltern darüber informiert, dass O. vom Klettergerüst gefallen sei. Nach Darstellung der Mutti hat sie den Unfallhergang selbst nicht gesehen."
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. Juli 2017 die Anerkennung des Ereignisses vom 16. Mai 2017 als Arbeitsunfall ab, da zum Unfallzeitpunkt die Aufsichtspflicht nach den von der Kindertagesstätte gegebenen Informationen bereits auf die Mutter des Klägers übergegangen gewesen sei.
Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch wandte die gesetzliche Vertreterin des Klägers ein, es sei nicht davon auszugehen, dass mit der Durchsage des Clowns L. das Grundstück der Kindertagesstätte hätte verlassen werden müssen. Sie habe den Kläger aufgefordert, seine Schuhe anzuziehen und zum Ausgang zu kommen. Selbst sei sie bereits zum Ausgang vorgegangen und habe dort mit anderen Müttern gewartet. Durch einen Freund des Klägers habe sie erfahren, dass er sich wehgetan habe und sei zu ihm gegangen. Zu diesem Zeitpunkt seien noch Bratwürste verkauft worden und es seien noch viele Eltern und deren Kinder auf dem Grundstück gewesen.
Ausweislich einer Gesprächsnotiz (Blatt 53 der Verwaltungsakte) teilte die Mitarbeiterin der Kindertagesstätte Frau Ot. der Beklagten mit, eine Anwesenheitspflicht bei der Veranstaltung habe nicht bestanden. Das Kinderfest sei von den Erziehern organisiert worden, jedoch sei das Erscheinen der Kinder und Eltern freiwillig gewesen. Nachfolgend teilte die Mitarbeiterin Ot. unter dem 6. September 2017 den Wortlaut der Einladung wie folgt mit:
"Kunterbunter Mai
Wir laden alle Eltern und Kinder am 16.05.17 ein, von 16 - 18 Uhr im S. unsere Gäste zu sein. Ob Spiel, ob Tanz, ob Leckerei, für jeden ist etwas dabei. Der Höhepunkt wird, oh wie fein, der Clown D. L. sein. Wir hoffen ihr habt Lust und Zeit im farbigen Gewand dabei zu sein. Ob Rot, Gelb oder Blau, macht euch bei eurer Erzieherin schlau...