Entscheidungsstichwort (Thema)
Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto. Beitragsfiktion. Rentenbeginn vor dem 1.7.1997. Vollendung des 65. Lebensjahres bereits unter Geltung der RVO. deutsch-amerikanisches Abkommensrecht. Antragsgleichstellung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Orientierungssatz
1. Für diejenigen Berechtigten nach dem ZRBG, die das 65. Lebensjahr vor dem 31.12.1991 vollendet haben und nur fiktive Beitragszeiten nach dem ZRBG zurückgelegt haben, ist kein Anspruch auf Altersruhegeld gem § 1248 Abs 5 RVO entstanden, da die allgemeine Wartezeit erst mit dem rückwirkenden Inkrafttreten des ZRBG zum 1.7.1997 erfüllt ist (Anschluss an SG Lübeck vom 23.4.2013 - S 6 R 353/11).
2. Ein Rentenbeginn vor dem 1.7.1997 ist in solchen Konstellationen nicht möglich.
3. Art 7 Abs 1 SozSichAbkDVbg USA als Voraussetzung für eine Antraggleichstellung gilt auch für Berechtigte nach dem ZRBG (Anschluss an SG Lübeck vom 23.4.2013 - S 6 R 353/11).
4. Zur Antraggleichstellung nach dem SozSichAbk USA (vgl auch BSG vom 16.5.2019 - B 13 R 37/17 R = SozR 4-1200 § 59 Nr 2).
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger keine Kosten zu erstatten.
Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger nicht erst ab dem 01.07.1997, sondern bereits ab dem Monat nach Vollendung seines 65. Lebensjahres, also ab Dezember 1989, einen Anspruch auf Regelaltersrente (RAR) bzw. Altersruhegeld (ARG) hat.
Der 1924 in X. in der Ukraine geborene Kläger ist jüdischer Abstammung und als Verfolgter im Sinne des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Er hielt sich in der Zeit vom 1.4.1944 bis zum 31.5.1944 zwangsweise in dem Ghetto in Ungarn auf, wo er eine Beschäftigung aus eigenem Willensentschluss gegen Entgelt ausübte. Nach Kriegsende hielt sich der Kläger von Mai 1945 bis April 1946 im Lager in X. auf und wanderte im Anschluss zunächst nach Israel aus. Seit 1957 lebt er in den USA und besitzt die dortige Staatsangehörigkeit.
Am 15.2.1988 beantragte der Kläger bei der US-amerikanischen Rentenversicherung, der Social Security Administration (SSA), eine Altersrente und bezieht·seit 1989 Leistungen von dort.
Der Kläger beantragte am 25.8.2008 beim Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen aufgrund seines·Verfolgungsschicksals im Ghetto X. in Ungarn eine Anerkennungsleistung nach der Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war. Diese wurde ihm am 25.1.2009 bewilligt.
Am 18.2.2010 beantragte der Kläger bei der Deutschen Rentenversicherung Bund, welche den Antrag an die Beklagten weiterleitete, Versichertenrente unter Hinweis auf die Vorschriften des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG) vom 20.6.2002 (BGBI 12074) und Verfolgungsersatzzeiten.
Mit Bescheid vom 11.11.201O bewilligte die Beklagte Regelaltersrente in Höhe von monatlich 321,25 Euro ab 1. Februar 2010 unter Berücksichtigung im Ghetto X. zurückgelegter Ghetto-Beitragszeiten vom 1.4.1944 bis 31.5.1944, einer Ersatzzeit vom 23.3.1944 bis 31.3.1944 sowie weiteren Verfolgungsersatzzeiten vom 1.6.1944 bis zum 31.12.1949 bei einem Zugangsfaktor von 2,210 (Erhöhung des Zugangsfaktors von 1,0 um 1,210 EP für 242 Kalendermonate, in denen die Regelaltersrente trotz erfüllter Wartezeit nach Vollendung des 65. Lebensjahres nicht in Anspruch genommen wurde, § 77 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst b Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - SGB VI).
Der auf einen früheren Rentenbeginn bereits ab dem 01.07.1997 gerichtete Widerspruch blieb ohne Erfolg. Er war damit begründet worden, dass der in den USA gestellte Rentenantrag und in diesem Zusammenhang die Regelungen des Sozialversicherungsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (DASVA), insbesondere die Regelung über die Gleichstellung von Anträgen in Art. 14 Abs. 1 berücksichtigt werden. Der Kläger hatte ergänzend auf entsprechende Rechtsprechung zum deutsch-israelischen Sozialversicherungsabkommen (DISVA) und deutsch-kanadischen Sozialversicherungsabkommen hingewiesen.
Im den Widerspruch als unbegründet zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 20.5.2011 führte die Beklagte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass zwar grundsätzlich gemäß Art. 14 Abs. 1 des DASVA ein Antrag nach den Vorschriften des einen Staates als entsprechender Antrag nach den Vorschriften des anderen Staates gelte. Hieraus folge aber lediglich eine territoriale Erweiterung der öffentlichen Stellen, bei denen ein wirksamer Antrag an die deutsche Rentenversicherung gestellt werden könne. Eine Fiktion mit der Wirkung, dass ein in den USA gestellter Antrag auf Geldleistungen nach den amerikanischen Rechtsvorschriften ohne weiteres auch als ein Antrag auf Geldleistungen nach den deutschen Rechtsvorschriften gelte, enthalte die Vorschrift jedoch nicht. Dies stehe auch mit der in Art. 14 Abs. 2 des DASVA geregelten Dispositio...