Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenersatz bei schuldhaftem Verhalten. Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. sozialwidriges Verhalten. Mitteilung von aufgefundenem Vermögen an das zuständige Betreuungsgericht und Verwendung zur Schuldentilgung
Leitsatz (amtlich)
1. Das Erfordernis des "vorsätzlichen oder grob fahrlässigen" Verhaltens in § 103 Abs 1 SGB XII ist so auszulegen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung von Sozialhilfe objektiv "sozialwidrig" herbeigeführt sein müssen. Schuldhaft (vorsätzlich oder grob fahrlässig) verhält sich ferner nur, wer sich der Sozialwidrigkeit seines Verhaltens bewusst (oder grob fahrlässig nicht bewusst) ist (Anlehnung an BVerwG vom 23.9.1999 - 5 C 22/99 = BVerwGE 109, 331).
2. Die Mitteilung von aufgefundenem Vermögen an das zuständige Betreuungsgericht und die Verwendung des Vermögens zur Schuldentilgung entsprechend einer Vorgabe des Betreuungsgerichts bei gleichzeitiger Beantragung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach §§ 61ff SGB XII stellt kein sozialwidriges Verhalten im Sinne des § 103 Abs 1 SGB XII dar.
Orientierungssatz
Az beim LSG Schleswig: L 9 SO 20/17
Tenor
Der Bescheid vom 03.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.02.2011 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird endgültig auf 13.282,85 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Heranziehung der Klägerin im Rahmen einer Erstattung nach § 103 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).
Die Klägerin ist Berufsbetreuerin der 1928 geborenen Betreuten I... Der Aufgabenkreis der Klägerin umfasst unter anderem die Vermögenssorge, die Aufenthaltsbestimmung und die Entscheidung über die Unterbringung, Wohnungsangelegenheiten und die Vertretung gegenüber Behörden und Einrichtungen. Aufgrund von Außenständen in Höhe von 118.451,19 € zzgl. 15 % Zinsen seit dem 12.01.1987 hatte die K... Volksbank eG bereits am 24.03.2003 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss hinsichtlich des pfändbaren Teils der von der Betreuten bezogenen Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erwirkt.
Am 21.01.2008 stellte die Klägerin für ihre Betreute einen Antrag auf Übernahme ungedeckter Heimkosten zunächst für eine Kurzzeitpflege ab dem 22.01.2008. Am 24.01.2008 übersandte der Beklagte der Klägerin Antragsunterlagen und wies unter anderem darauf hin, dass ihre Betreute lediglich über verwertbares Vermögen bis zur Höhe von 2600 € frei verfügen dürfe. Verwertbares Vermögen sei jeder Vermögensgegenstand, durch dessen Verwertung der Notlage des Hilfesuchenden ganz oder teilweise abgeholfen werde. Sämtliche dieser diesen Freibetrag übersteigende Vermögenswerte seien vor Inanspruchnahme von Sozialhilfe einzusetzen. Am 04.03.2008 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass die Klägerin dauerhaft in die Pflegeeinrichtung ziehe. Bei der Wohnungsauflösung sei Vermögen aus zwei Depots aufgefunden worden. Konkretere Angaben erfolgten mit Einreichung des Antragsformulars am 08.03.20008, auf dem die Klägerin als Vermögen der Betreuten die beiden Depots in Höhe von 3.267,28 Euro bei der Deka Invest und 10.249,83 Euro bei der Commerzbank K... angab. Mit Mail vom 06.03.2008 wandte sich der Beklagte daraufhin an die Klägerin und teilte mit, dass sämtliches Vermögen zur Deckung der Heimkosten einzusetzen sei und die Gläubiger zu informieren seien. Ein entsprechendes Schreiben schickte der Beklagte auch an das Amtsgericht P.../Vormundschaftsgericht. Bereits am 04.03.2008, bekanntgegeben gegenüber der Klägerin am 06.03.2008, hatte das Amtsgericht P... einen Beschluss gefasst, der die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung zur Kündigung und Auflösung der beiden Depots beinhaltet. Mit Übersendungsschreiben vom 05.03.2008 teilte das Amtsgericht P... der Klägerin ferner mit, dass sich für die verspätete Bearbeitung entschuldigt werde, ein Schreiben der Klägerin vom 14.01.2008 jedoch nicht vorliege. Es werde mitgeteilt, dass die Sparbeträge zur Tilgung der laufenden Pfändung eingesetzt werden müssten. Am 26.05.2008 erwirkte die K... Volksbank eG einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss in das auf ein Konto bei der Förde Sparkasse (…) überwiesene Guthaben in Höhe von 13.723,39 Euro.
Nach Durchführung eines beim Sozialgericht S. geführten gerichtlichen Eilverfahrens der Betreuten übernahm der Beklagte die laufenden ungedeckten Heimkosten von Frau V...(dortige Antragstellerin) zunächst ab dem 26.05.2008. Im Hauptsacheverfahren mit Az. S 11 SO 228/08 (Gerichtsbescheid vom 30.05.2012) und im anschließenden beim Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht geführten Berufungsverfahren mit Az. L 9 SO 51/12 (Urteil vom 18.03.20015) wurde der Beklagte verurteilt, die ungedeckten Heimkosten aus Sozialhilfemitteln ab dem 06.03.2008 (Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beschlusses vom Amtsgericht P...s mit dem Zusatzschreiben) zu übernehmen. Ein Anspruch auf Leistungen ab dem 20.01.2008 bis zum 05.03.2008 wurde im Ergebnis abgelehnt.
Mit Schreiben vom 20.09.2010 hörte der Beklagte...