Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs 4 S 2 AsylbLG. Gewährung internationalen Schutzes in Bulgarien. Unzumutbarkeit einer freiwilligen Ausreise. Bestehen eines Abschiebungsverbots. Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung. existenzielle Notlage. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Eine Leistungseinschränkung gemäß § 1a Abs 4 S 2 iVm Abs 2 AsylbLG ist rechtswidrig, wenn eine Abschiebung des Leistungsberechtigten wegen einer ihm im Abschiebestaat drohenden Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unzulässig ist und ihm aus diesem Grund auch eine freiwillige Ausreise nicht zugemutet werden kann.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig und unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Zeitraum 01.08.2017 bis 31.01.2018 Leistungen gemäß § 2 AsylbLG i. V. m. SGB XII und ohne Einschränkung nach § 1 a AsylbLG zu gewähren.
Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über die Rechtmäßigkeit einer Leistungseinschränkung nach § 1 a Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG).
Der am I. geborene Antragsteller zu 1) und die am J. geborene Antragstellerin zu 2) sowie ihre gemeinsamen, am K., L. und M. geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3) - 5), sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten nach ihren Angaben am 07.02.2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragten am 03.08.2016 Asyl. Ein weiteres Kind der Antragsteller zu 1.) und 2) ist in Deutschland geboren.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) lehnte die Anträge mit Bescheid vom 15.05.2017 als unzulässig ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen. Weiterhin wurden die Antragsteller aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, und wurde ihnen bei nicht Einhaltung der Ausreisefrist die Abschiebung nach Bulgarien angedroht. Die Antragsteller erhoben daraufhin am 23.05.2017 vor dem Verwaltungsgericht (VG) Lüneburg Klage und beantragten vorläufigen Rechtsschutz. Mit Beschluss vom 22.06.2017 ordnete das VG Lüneburg (Az.: 8 B 117/17) die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im Bescheid des BAMF vom 15.05.2017 verfügte Abschiebungsandrohung nach Bulgarien an. Zur Begründung wird ausgeführt, den Antragstellern zu 1) - 5) sei internationaler Schutz in Bulgarien gewährt worden; der angedrohten Abschiebung stehe aber das Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 AufenthG entgegen, da ihnen dort eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) drohe. Nach allen Erkenntnisquellen seien in Bulgarien nach der nationalen Gesetzeslage bestehende Ansprüche, die es den anerkannten Flüchtlingen und Schutzberechtigten ermöglichen sollen, ein Existenzminimum zu schaffen, faktisch nicht durchsetzbar. Der Erhalt des Schutzstatus bedeute in der Regel Obdachlosigkeit mit der weiteren Folge, dass der Zugang zum Arbeitsmarkt und staatlichen Leistungen nicht möglich sei; auch der Zugang zur Gesundheitsversorgung sei nicht gewährleistet.
Die Antragsteller wohnen im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners in einer ihnen zugewiesenen Wohnung. Seit 14.03.2016 erhalten sie laufende Leistungen nach dem AsylbLG. Für den Zeitraum 01.03.2017 bis 28.02.2018 wurden diese mit Bescheid des Antragsgegners vom 27.02.2017 auf monatlich 1.447,12 € festgesetzt. Mit Änderungsbescheid vom 28.06.2017 hob der Antragsgegner seinen Bescheid vom 27.02.2017 ab 01.07.2017 auf und bewilligte für den Zeitraum 01.07.2017 bis 31.07.2017 laufende Leistungen in Höhe von 1.423,50 €. Mit weiterem Bescheid vom 31.07.2017 schränkte der Antragsgegner die Leistungen ab 01.08.2017 ein und gewährte nur noch Leistungen zur Deckung des Bedarfs an Ernährung und Unterkunft einschließlich Heizung- sowie Körper und Gesundheitspflege in Höhe von 547,14 € monatlich mit der Begründung, den Antragstellern zu 1) und 2) sei in Bulgarien subsidiärer Schutz gewährt worden. Damit seien die Voraussetzungen für eine Kürzung der Leistungen nach § 1 a Abs. 4 Satz 2 i. V. m. Abs. 2 AsylbLG erfüllt, da nach dieser Vorschrift Leistungsberechtigte, denen bereits von einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union internationaler Schutz oder aus anderen Gründen ein Aufenthaltsrecht gewährt worden sei, eingeschränkte Leistungen entsprechend § 1 a Abs. 2 AsylbLG erhielten, wenn der internationale Schutz oder das aus anderen Gründen gewährte Aufenthaltsrecht fortbestehe.
Am 16.08.2017 haben die Antragsteller dagegen Widerspruch erhoben sowie bei dem Sozialgericht (SG) Lüneburg einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Die vorgenommene Leistungseinschränkung sei rechtswidrig, da nach dem Urteil des Bundesverfassungsg...