Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Bedarfsgemeinschaft. Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft. Dauer des Zusammenlebens von unter einem Jahr
Leitsatz (amtlich)
Von einer Einstehens- und Verantwortungsgemeinschaft kann auch bei einem Zusammenleben unter einem Jahr ausgegangen werden.
Tenor
1. Der Bescheid vom 08.01.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.02.2021 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, einen Leistungsanspruch nach dem SGB-II zu berechnen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II, was die Beklagte mit der Begründung mangelnder Hilfebedürftigkeit abgelehnt hatte.
Der 1991 geborene Kläger beantragte am 9. November 2020 Grundsicherung für Arbeitssuchende bei der Beklagten. Für ihn war ein rechtlicher Betreuer unter anderem mit dem Aufgabenkreis „Rechtsantrags und Behördenangelegenheiten“ bestellt. Zu diesem Zeitpunkt lebte er mit seiner Freundin, der Zeugin, zusammen in einer Doppelhaushälfte in G.. Diese hatte er während seiner Ausbildung zum biologisch technischen Assistenten kennengelernt, sie hatten die Ausbildung gemeinsam absolviert. Die Beziehung entstand zum Ende der Ausbildung. Zusammen zog man nach G., weil beide eine Anstellung bei der H. gefunden hatten. Während der Probezeit erhielt der Kläger eine Kündigung.
In der Folge stellte er den Antrag auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen und gab im Antragsformular an, dass er mit einer „sonstigen Person (zum Beispiel andere Personen in einer Wohngemeinschaft)“ seit 15. Juli 2020 zusammenwohne. Als Grundmiete fielen 500 € sowie 75 € Nebenkosten, 75 € Heizkosten und 25 € Stellplatzkosten an.
Im Fragebogen zur Ermittlung des Vorliegens einer Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft wurde angegeben, dass der Kläger die Weihnachtstage und Geburtstage zusammen mit seiner Freundin verbringe und gemeinsam eine Hausrats-, Unfall- und Rechtsschutzversicherung abgeschlossen habe. Auch das Auto werde gemeinsam genutzt. Die Miete sowie Strom, Heizkosten und Telefon überweise die Freundin.
Mit Schreiben vom 2. Dezember 2020 forderte die Beklagte den Kläger zur Mitwirkung auf. Es sollten folgende Unterlagen eingereicht werden: Anlage WEP für die Freundin, Personalausweis der Freundin, Anlage EK für die Freundin, Anlage VM für die Freundin, Kontoauszüge von allen Konten der letzten 3 Monate von der Freundin, Arbeitsvertrag der Freundin, Verdienstabrechnung für Oktober und November 2020 der Freundin, Arbeitsbescheinigung für den Kläger sowie die Verdienstabrechnung für November 2020 des Klägers.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 lehnte der rechtliche Betreuer es ab, Unterlagen der Freundin vorzulegen, mit dem Hinweis darauf, dass hierzu keine Verpflichtung bestehe. Er verwies dazu auf ein Urteil des SG Gießen vom 23. Februar 2016 - S 22 AS 1015/14 .
Mit Bescheid vom 8. Januar 2021 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ab. Sie begründete dies damit, dass ein Anspruch mangels Hilfebedürftigkeit nicht bestehe. Er wohne mit der Freundin zusammen, der Mietvertrag sei von beiden abgeschlossen, die Alltagsaufgaben im Haushalt würden gemeinsam erledigt, es sei gemeinsam eine Küche gekauft worden. Weihnachten, Geburtstage und Freizeit würden zusammen verbracht. Schließlich seien gemeinsame Versicherungen für Hausrat, Unfall und Rechtsschutz abgeschlossen worden.
Der Kläger erhob hiergegen, vertreten durch den rechtlichen Betreuer, Widerspruch mit Schreiben vom 13. Januar 2021. Der Kläger wohne erst seit Juli 2020 mit der Zeugin zusammen, es gäbe keine gemeinsamen Kinder, es würden keine Angehörigen zusammen versorgt, es lägen keine Befugnisse hinsichtlich der Verfügung über das Einkommen oder Vermögen des jeweils anderen vor und die Küche sei nicht zusammen angeschafft, sondern schlicht vom Vormieter übernommen worden. Die Versicherungsverträge könnten jährlich gekündigt werden, sodass sich ein langfristiges Einstehen und die Übernahme von Verantwortung hieraus nicht ableiten könne.
Mit Bescheid vom 18. Januar 2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Sie vertiefte ihre Ausführungen und stellte fehlende Hilfebedürftigkeit nach§ 9 Abs. 2 SGB II fest.
Am 27. Januar 2021 hat der Kläger Klage erhoben. Er begründet diese vor allem damit, dass er mit der Zeugin keine Bedarfsgemeinschaft gebildet habe, ein gegenseitiges Einstehen und Verantwortung füreinander übernehmen nicht stattgefunden habe. In der mündlichen Verhandlung am 15. März 2024 hat er zudem angegeben, dass man sich vor rund anderthalb Jahren getrennt habe und er die damals bei der Freundin entstandenen Schulden zurückgezahlt habe.
Er beantragt,
wie erkannt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat die Sache mündlich am 21. April 2023 verhandelt und dabei den Sachverhalt durch Einvernahme der Zeugin weiter aufgeklärt. Auf die Sitz...