Entscheidungsstichwort (Thema)

Soziale Pflegeversicherung. Wohngruppenzuschlag nach § 38a Abs 1 Nr 3 SGB 11. Erfordernis der gemeinschaftlichen Beauftragung einer Präsenzkraft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Bewilligung eines Wohngruppenzuschlags setzt ua voraus, dass eine Person (Präsenzkraft) durch die Mitglieder der Wohngruppe gemeinschaftlich beauftragt ist, unabhängig von der individuellen pflegerischen Versorgung allgemeine organisatorische, verwaltende, betreuende oder das Gemeinschaftsleben fördernde Tätigkeiten zu verrichten oder hauswirtschaftliche Unterstützung zu leisten (§ 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI).

2. Die Präsenzkraft muss gemeinschaftlich beauftragt und ihr Aufgabenkreis konkret festgelegt worden sein.

3. Dies setzt die Auswahl einer oder mehrerer natürlicher Personen durch die Wohngruppenmitglieder oder ihrer Vertreter im Innenverhältnis und einen gemeinsamen Vertrag mit der Präsenzkraft bzw den Präsenzkräften im Außenverhältnis voraus.

4. Individualverträge der Bewohner einer Wohngruppe mit einem Wohngruppenbetreiber zur Übernahme von Aufgaben, die auch eine Präsenzkraft wahrnehmen könnte, erfüllen nicht den Tatbestand des § 38a Abs 1 Nr 3 SGB XI.

 

Orientierungssatz

Zu Leitsätzen 2 und 3 vgl BSG vom 18.2.2016 - B 3 P 5/14 R = SozR 4-3300 § 38a Nr 1 RdNr 21.

 

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI).

Der bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger lebt seit August 2011 im C.-Zentrum S. R. in M., einer Wohngemeinschaft für demenziell Erkrankte mit zwei Gruppen mit jeweils zwölf Bewohnerinnen und Bewohnern, die sämtlich pflegebedürftig im Sinne der sozialen Pflegeversicherung sind. Er leidet an einer Demenz. Seit Januar 2013 bezog er zunächst Leistungen der Pflegestufe I, seit Mai 2014 bezieht er Leistungen der Pflegestufe II.

Am 25.01.2013 beantragte der Kläger die Gewährung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI, den die Beklagte unter Berücksichtigung des damals vorliegenden Vertragsgefüges mit Bescheid vom 05.03.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.06.2014 ablehnte. Die Klage vor dem Sozialgericht Mainz (S 14 P 45/14) und die Berufung vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz (L 5 P 32/15) blieben erfolglos.

Das Vertragsgefüge hat sich seither geändert. Träger der Wohngemeinschaften ist weiterhin der C. Verband M. e.V.. Mit Letzterem als Eigentümer der Wohn- und Gemeinschaftsräume der Wohngemeinschaften S. R. als Vermieter schloss der Kläger als Mieter am 15.07.2011 einen Mietvertrag über einen Wohnraum in der Wohngemeinschaft 2 und die Mitbenutzung der Gemeinschaftsräume (Wohnzimmer, Wohnküche, Balkon, WC, Personenaufzug).

Der Kläger schloss außerdem mit der C. Altenhilfe S. M. R. gGmbH einen Gesamtversorgervertrag mit Wirkung vom 1. März 2016. Dieser Vertrag regelt im § 2, dass der Auftragnehmer im Wesentlichen zuständig ist für die Organisation der Gesamtversorgung der Mieter. Dabei übernimmt der Vertragspartner unter Verweis auf § 5 Nr. 1 LWTG die Funktion des Organisators für das Angebot von Pflege-, Teilhabe- und anderen Unterstützungsleistungen und Verpflegung. Hierfür fallen monatlich 205 Euro an. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er endet mit Tod, Beendigung des Mietvertrags oder aus wichtigem Grund.

Ein weiterer Betreuungsvertrag mit der C. Altenhilfe S. M. R. gGmbH regelt Dienstleistungen wie Unterstützung bei der Haushaltsorganisation, gemeinsames Kochen, gemeinsame Mahlzeiten, Gruppenaktivitäten, Freizeitgestaltung, Unterstützung bei der Reinigung und Aktivierungsangebote. Der Vertrag ist auf unbestimmte Zeit geschlossen. Er endet mit Tod, Beendigung des Mietvertrags oder aus wichtigem Grund.

Schließlich hat der Kläger mit der im selben Gebäude ansässigen C. Sozialstation H. G. einen Pflegevertrag über Sachleistungen der Behandlungspflege abgeschlossen.

Die Neugestaltung des Vertragsgefüges verfolgte in Reaktion auf die sozialgerichtliche Rechtsprechung. In dem „Protokoll der Mieterversammlung S. R., M., WG 2 am 1.3.2016“ heißt es unter TOP 1 Vertragsänderung:

„Um die Wählbarkeit des Betreuungsdienstes (24h Präsenz) eindeutig zu ermöglichen wurden die Verträge neu gestaltest. Statt des bisherigen Mieterversorgungsvertrages gibt es nun einen Gesamtversorgervertrag und eine Betreuungsvertrag für jeden Mieter. Die neuen Verträge wurden vorgestellt und erläutert. Sie treten mit Wirkung 01.03.2016 in Kraft. Damit sind die Kriterien zur Beantragung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI erfüllt. Mieter, die den Zuschlag von Ihrer Pflegekasse bisher noch nicht erhalten, können Ihnen auf dieser Grundlage erneut anfordern (siehe Anlage LSG Urteil) und so die Kosten, die aus dem Gesamtversorger Vertrag entstehenden decken.

Die Verträge wurden den Mietervertretern mit der Bitte um Unterschrift und Rückgabe an die Leitung der WGs ausgehändigt. Nach Unterzeichnung durch die Geschäftsführung erhalte...

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